Eröffnungsansprache der Künstlerin Frau Güttler

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie meinerseits und auch im Namen meiner Mitausstellerinnen ganz herzlich zu der Ausstellung, in der wir Ihnen einige Beispiele aus unserem Schaffen zeigen können. Da wir annehmen, dass nicht allen anwesenden Personen die Begriffe Quilt und Patchwork geläufig sind, möchte ich erst dazu etwas sagen.
Zunächst: Es heißt Quilt, nicht Kilt. Das Wort ist englisch, denken Sie an "Queen". Ein Quilt ist einfach so etwas wie eine dünne Steppdecke. Quilten heißt auf Deutsch steppen. Ein Stoff wird dabei mit einer weichen Einlage und einem Unterstoff zusammengesteppt, um ihm Volumen und Festigkeit zu verleihen. Das Patchwork ist aus vielen Stoffstückchen zusammengenäht, es bildet den Oberstoff. Jedes Patchwork ist als fertiger Wandbehang oder als Decke also ein Quilt.
Der Patchworkquilt, wie wir ihn kennen, ist bekanntlich von den Siedlerfrauen in der Kolonialzeit in Amerika erfunden worden. Es waren arme Frauen, die die letzten Reste von zerschlissenen Kleidungsstücken zusammennähten, um noch wärmende Decken daraus anzufertigen. Ich finde es beachtenswert, dass diese Frauen selbst mit den bescheidensten Mitteln versuchten, etwas Schönes dabei zu schaffen.
Frau Breitenbach, Frau GüttlerEs muss damals in Amerika eine Welle der Begeisterung entstanden sein, die viele Regionen und Siedlerstämme erfasste. Es wurden regional verschiedene Muster erfunden, weitergereicht und weiterentwickelt. Bis in die heutige Zeit werden und wurden die traditionellen Muster nachgearbeitet. Man hat meistens mehrere gleichartige Musterblöcke genäht und sie aneinander und übereinander gereiht, bis das gewünschte Format gefüllt war. Dieses Schema und eine Musterauswahl waren immer vorgegeben und mit leichten Variationen konnte sich jede Quilterin eine Decke anfertigen. Es entstand also so etwas, was man Volkskunst nennt. Kennzeichen einer Volkskunst ist es ja gerade, dass sie die Möglichkeit gibt, ohne größere Kreativität etwas Schönes zu schaffen. Es muss nicht viel Eigenes ausgetüftelt werden und der Erfolg ist so gut wie sicher. Diese Volkskunstwelle schwappte in den 70er Jahren auch nach Europa über. Auch in Deutschland konnte man an vielen Orten an Kursen teilnehmen und das Nähen der traditionellen Muster erlernen.
Es entstand aber bald eine neue moderne Quiltbewegung, die sich höhere künstlerische Ziele setzte und das Nacharbeiten oder nur geringe Abwandeln von Vorlagen ablehnte. Das war die Geburtsstunde der Quilt-Kunst. Wenn etwas Kunst heißen soll, dann ist die wichtigste Voraussetzung ja die, dass etwas Eigenes, Kreatives sozusagen "erfunden" wird. Selbst perfektes Nachmachen kann nie als Kunst gelten, weil dabei alle Gestaltungsprobleme bereits von anderen gelöst sind.
Wir zählen uns zu dieser Quilt-Kunst-Bewegung. Ich muss allerdings dazusagen, dass wir das Wort Kunst nicht so voll in den Mund nehmen. Statt von Volkskunst und Kunst sprechen wir lieber von Tradition und Moderne.
Woran erkennt man nun, ob man traditionelles oder modernes Patchwork vor sich hat? Das deutlichste Kennzeichen beim modernen Patchwork ist eine ganzflächige Komposition, keine Aufreihung von gleichartigen Musterblöcken. Ein moderner Bildaufbau ist in der Regel auch nicht symmetrisch, wie das in der Tradition noch vorherrschte. Dem heutigen Kunstempfinden entspricht mehr das Asymmetrische, weil es uns interessanter, spannungsreicher und lebendiger erscheint.
Das soll jedoch nicht heißen, dass es nicht auch prächtige künstlerische Quilts mit symmetrischem Muster gibt. Eine symmetrische Aufteilung ist vollkommen ruhig und ausgeglichen. Sobald aber eine Gestaltung aus der Mitte gesetzt wird, entsteht optisch ein Ungleichgewicht, eine Spannung, die einen Ausgleich verlangt.
Sie sehen das vielleicht am deutlichsten bei dem bildschönen Quilt von Frau Schneiderhan, der auf der Einladung abgedruckt ist. Hier ist die Komposition nach rechts verschoben und trotzdem vollkommen ausgeglichen durch einen kleineren Farbteil und den dunklen Hintergrund. Die Größenverhältnisse sind ungleich, aber ausbalanciert. Dieser Quilt besticht außerdem noch durch die hervorragende Abstufung der Farben. Es sind 12 verschiedene Farbtöne, die gleitend ineinander übergehen, von Gelb über Rottöne zu Blau und Grün. Auch nach oben und unten sind die Farben in der Helligkeit bis ins Blasse abgestuft. Den sanften Linienschwung hat Frau Schneiderhan dadurch erreicht, dass sie die Dreiecke zu den Rändern hin schrittweise jeweils um einen halben Zentimeter schmäler geschnitten hat.
Frau Breitenbach, Frau GüttlerBei Ausstellungen werden wir am häufigsten danach gefragt, wie lange wir denn nun für die Arbeit an so einem Wandbehang benötigen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Nähen ist der gemütlichste Teil. Man steht lange Zeit vorher an der Pinnwand, bis ein zufrieden stellender Aufbau und ein angenehmer Farbklang entstanden sind. Es wächst, indem von Fall zu Fall über die weitere Arbeit entschieden werden muss. Das Werk wächst dann langsam, wobei immer ein Kampf zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig entsteht. Drei bis vier Wochen sind mindestens zu veranschlagen.
Oft fragt man uns auch, warum wir uns dieser aufwändigen Näharbeit unterziehen und uns nicht der Malerei zuwenden, wenn wir etwas Künstlerisches schaffen wollen. Die Antwort ist leicht: Wir sind einfach begeistert vom besonderen Charme eines Quilts, von seinem "Touch", wie man neudeutsch sagt. Er hat in unseren Augen eine einzigartige Ausstrahlung durch seine stoffliche Weichheit und die reliefartige Struktur, die zum optischen noch einen taktilen Reiz hinzufügt. Mit diesen Eigenschaften ist ein Quilt etwas Neuartiges in der Kunstwelt. Wir freuen uns auch darüber, dass wir mit dem leichten Material größere Gebilde bewältigen können, die oft eine repräsentative Wirkung erreichen und eine ganze Wand beherrschen können.
Ob bei unserem Bemühen letzten Endes wirklich so etwas wie ein kleines Kunstwerk entsteht, das entscheidet sich wie bei anderen Kunstgattungen immer am einzelnen Werk.
Wir danken Herrn Kammerer dafür, dass er uns mit dieser Ausstellung die Möglichkeit gibt, unsere Arbeit und die Kunstgattung "Quilt-Kunst" hier vorzustellen.
Noch ein Wort zum Material: Da wir von den verschiedenen Stoffen meistens nur kleine Stücke benötigen, verwenden wir vorzugsweise Reste. Reste von Zuschnitten aus Schneiderwerkstätten und aus der Industrie und wir bekommen viel geschenkt, z.B. Mustercoupons und dergleichen. Wir sagen deshalb auch manchmal, dass wir ein künstlerisches Recycling betreiben, weil wir ja auch das Material Stoff als hohes Kulturgut schätzen. Ab und zu muss freilich auch Stoff hinzu gekauft werden.
Anmerkung: Der Vortrag wurde leicht gekürzt wiedergegeben