Möge die Straße uns zusammenführen ...

Im Oktober 1944 wurde ich im Forsthaus Teilwiesen/Niedersalzbrunn bei Waldenburg geboren. Mein Vater war Förster beim Fürst von Pleß auf Burg Fürstenstein. Im Juni 1946 mußte meine Familie flüchten. Ich danke noch heute Gott, dass ich von dieser Zeit keinerlei Erinnerungen habe!
Das Thema Schlesien - Heimat - Flucht war in meiner Anwesenheit bei meinen Eltern tabu, zu schlimm waren wohl die Erinnerungen. Mit zunehmenden Alter wollte ich unbedingt meine Geburtsstätte kennenlernen.
Am 31. Oktober 1987 war es dann soweit. Als 43-jähriger fuhr ich erstmals nach "meinem" Schlesien. Mein 6 Jahre älterer Bruder hatte schon mehrere Hilfsgüter organisiert. In Burgsteinfurt bei Münster begann meine erste Reise nach schon vorher atemberaubender Vorbereitung. Es war nicht einfach, als Polizeibeamter ein Visum in die Volksrepublik Polen zu erhalten. Ab Burgsteinfurt ging die Fahrt mit zwei Kombis mit Anhängern u. zwei 7,5t Lkw über die DDR-Grenze bei Bad Hersfeld in Richtung Görlitz zur DDR-polnischen Grenze und von dort über Greifenberg mit Übernachtung bei Privatpersonen über Hirschberg und Gottesberg nach Waldenburg. Mit meinen Visumsproblemen waren wir über 48 Fahrstunden für die 900 km lange Reise unterwegs, kämpften uns durch Eis und Schnee, wurden oft von jubelnden Kindern begleitet und waren am Ende total erschöpft aber glücklich in Waldenburg.
Alleine diese erste Reise war ein unvergessliches Erlebnis. Innerhalb 24 Stunden wurden die mitgebrachten Güter verteilt und wir mussten sofort die Heimreise antreten. Von meiner Abfahrt aus Ottersweier über Burgsteinfurt - Köln (Botschaft) -Burgsteinfurt - DDR - Waldenburg und zurück nach Ottersweier vergingen ca. 6 Tage mit wenig Schlaf und ca. 3200 Km, die ich alleine fuhr.
Von den Erlebnissen total beeindruckt, beschloss ich zu Hause sofort, weitere Hilfsgütertransporte durchzuführen. Beim Deutschen Roten Kreuz in Bühl fand ich Ansprechpartner. Unterstützt wurde ich vom DRK, der evangelischen Kirche in Bühlertal/Ottersweier und von Privatpersonen. Bis etwa 1994 führte ich 25 Hilfsgütertransporte durch, wobei ich etwa die Hälfte selbst finanzierte. Bei jedem Transport hatte ich alle Güter selbst besorgt und beim DRK Bühl viele Tonnen gebrauchter Kleidungsstücke eigenhändig (unter Mithilfe meiner Familie) sortiert und verpackt. Firmen aus der hiesigen Gegend unterstützten mich großzügig mit "Werbematerial". "Weißes Gold" bekam ich von Ciba Geigy in Form von fast 1 Million Aspirin-Tabletten.
Beliefert und unterstützt wurden von mir Privatpersonen, der deutsche Club in Waldenburg, die deutsche evangelische Kirche in Waldenburg, das polnische Rote Kreuz und ein Krankenhaus im Nachbarort Wüstegiersdorf. Jede Fahrt war ein Erlebnis und wäre einen Einzelbericht wert!
Die evangelische Kirche in Waldenburg hat nur noch wenige hundert Mitglieder in ihrem großen Einzugsgebiet. Etwa ¾ sind deutscher Abstammung, meist ältere Frauen, ¼ sind Polen. Die meisten Polen sind katholischen Glaubens. Man kann sagen, dass alle Mitglieder zu der armen Schicht gehören und besonders unterstützungswürdig sind.
Ein älteres deutsches Ehepaar wohnt im Pfarrhaus und ist für alles zuständig. Der Pfarrer kommt aus dem weit entfernten Warschau. Alle 14 Tage ist Gottesdienst, einmal im Monat in deutscher Sprache, es sei denn ... Einige deutsche evangelische Pfarrer aus der Bundesrepublik haben ein persönliches Verhältnis zu diesem Land, zu dieser Region. Teilweise sind sie oder ihre Eltern dort geboren und teilweise nach dem Kriege dort aufgewachsen, bevor sie aussiedelten. Immer wieder kommen die Pfarrer (im Norddeutschen und in Schlesien heißen sie Pastoren) zurück in ihre Heimat und übernehmen dort den Gottesdienst in aller Form. Hier eine kleine Geschichte davon:
Während meiner Aufenthalte konnte ich und meine Begleiter jedesmal bei einem Deutschen kostenlos wohnen. Bernhard Fabisiak, jetzt 75 Jahre alt, ist ein großer Deutscher, der die deutsch-polnische Freundschaft lebt und aufbaut! An einem Februarsonntag klingelte bei ihm das Telefon. Ein deutscher Pastor aus Hamburg wollte Gottesdienst leisten und alte und kranke evangelische Gemeindemitglieder in den Landgemeinden aufsuchen. Aber, bei unter -25 Grad versagte sein Diesel-Pkw. Bernhards Diesel wollte auch nicht, so blieb nur noch ich übrig. Also habe ich unseren Pastor übernommen und schnell meinen Pkw mit Bekleidung voll beladen. So waren wir beide etwa 8 Stunden unterwegs. Unser Pastor aus Hamburg erwärmte die Leute mit seinem Worten und ich mit warmer Bekleidung.
Und so ist mir die evangelische Kirche in Waldenburg ans Herz gewachsen. Jede kleine Spende von uns tut Gutes in Waldenburg. Ich fahre nicht mehr so oft dorthin, aber meine Verbindungen bestehen weiter. Bis heute wird jede Kollekte für Waldenburg persönlich oder durch Mithelfer überbracht.
Kurt Langer