Das Torajaland in Sulawesi

Der Tourismus auf der indonesischen Insel Bali scheint sich von den Folgen des verheerenden Bombenattentats von mutmaßlichen Islamisten im Oktober 2002 erholt zu haben. Zum Ende des vergangenen Jahres stieg die Zahl der Urlauber wieder an. Im Dezember besuchten 68000 Urlauber das Ferienziel, während im Vormonat nur halb so viele Touristen gekommen waren. Die Beruhigung auf Bali wirkt sich auf das gesamte Land aus, das erheblich von der Tourismusindustrie abhängig ist. So sind jetzt auch wieder Abstecher nach Sulawesi möglich.
Die Totenzeremonien der Toraja im Herzen Sulawesis (Celebes) sind so berühmt wie berüchtigt und nichts für schwache Nerven. Bis zu drei Tage dauert eine solche Feier, in deren Verlauf Dutzende Wildschweine und etliche Büffel zu Ehren des Verstorbenen geschlachtet werden. Bei brütender Hitze liegen die Tiere, festgezurrt zwischen Bambusstangen, auf dem Festplatz und warten jämmerlich auf ihre todbringende Erlösung. Ängstliches Quieken und ohrenbetäubende Büffelrufe schallen vom Festplatz, weit oben in den Hängen des Sadangtals, bis hinunter ins Dorf. Mit rhythmischen Tänzen und Gesängen huldigen die Festgäste dem Toten, bringen sich selbst mit reichlich Palmwein in Stimmung. Nach dem Todesstoß werden die Tiere zerlegt, das Fleisch unter den Gästen verteilt.
Je reicher und bedeutender der Verstorbene war, umso mehr Schweine und Büffel müssen bei einem solchen Fest ihr Leben lassen - denn nur eine pompöse Feier mit vielen Tieropfern sichert dem Toten eine adäquate Position im Jenseits. Der Wert eines Toraja wird noch heute in der Zahl seiner Opferbüffel bemessen.
Deshalb sparen die Menschen im Grunde ihr ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag: ihre eigene Totenfeier. Dafür dürfen die Verstorbenen während "ihrer" Zeremonie in einem Holzsarg hoch über dem Festplatz thronen, bevor sie am letzten Tag endgültig bestattet werden.
Zugegeben: Westliche Gemüter tun sich schwer, diesen traditionellen Opferfesten mit ruhigem Magen und offenen Augen zu folgen. Dennoch sollte man als Gast der Toraja eine Einladung zum Totenfest unbedingt annehmen. Denn hier kann man noch die wahre Seele dieses eigenwilligen Volkes mit seinen 370000 Menschen hautnah erleben. Immerhin: Derartige Einladungen kommen häufig vor. Die noch bis vor rund 100 Jahren von jeglicher Zivilisation abgeschotteten Toraja freuen sich nämlich noch immer herzlich über jeden Besucher, der den Weg zu ihnen findet.
Tongkonan-HäuserDas mag nicht nur an ihrem Nachholbedarf liegen, sondern auch an der Tatsache, dass der Weg zu ihnen nicht gerade einfach ist. Wer nach Tanah Toraja will, muss - abgesehen vom Flug nach Sulawesi - eine gut achtstündige Busfahrt auf sich nehmen. So lange nämlich dauert die Reise vom Flughafen Ujung Pandang (auch Makassar genannt) am südlichen Zipfel Sulawesis hinauf in die Bergregion bis zur rund 300 Kilometer entfernten Toraja-Hauptstadt Rantepao. Doch die Fahrt allein ist schon ein sensationelles Erlebnis. Sie führt zunächst entlang der Westküste Sulawesis, vorbei an den für viele Inseln Indonesiens so typischen Pfahlhäusern und Bambushainen bis zu dem kleinen Touristenörtchen Pare Pare. Von dort geht es dann auf dem Trans-Sulawesi-Highway in zahllosen Kurven und durch glitzernde Reisfelder ins Gebirge. Hat man schließlich das Tor zu Tanah Toraja passiert, grüßen überall und unübersehbar die herrlichen Tongkonan. Das sind die für Toraja so typischen alten Stammhäuser der Aristokratie mit schiffsförmigen Bambusdächern, extrem hoch gezogenen Giebeln und bunten Schnitzereien. Kleinere Pfahlhäuser dienen noch heute als Reisspeicher - und manchmal auch zur Aufbewahrung der Toten bis zu ihrer Begräbniszeremonie. Die meisten Besucher kommen heute als Pauschaltouristen via Bali oder Java nach Toraja. Während der drei- bis viertägigen Touren werden vor allem die berühmten Grabstätten besucht. Denn nicht nur die Totenzeremonien sind einzigartig, auch die Art und Weise, wie die Toraja - vor allem früher - ihre Verstorbenen beerdigten, sind außergewöhnlich. Besonders sehenswert sind die Felsengräber von Lemo, die Höhlengräber von Londa sowie die Grabstätten von Ketu Kesu.
Doch trotz all dieser Kulturhighlights sollte man sich unbedingt genügend Zeit für Natur und Landschaft Tanah Torajas nehmen. Mindestens einen Tag sollte man das Land auf einer kleinen Wandertour erkunden. Möglichkeiten dazu gibt es genügend. Und wer sich den Ausblick auf das Sadangtal von einem der umliegenden Berge zu Fuß erkämpft hat, wird nicht nur für die lange Anreise fürstlich belohnt. Die Wanderung durch unsagbar schöne Reisterrassen, abgeschiedene Dörfer mit freundlich juchzenden Kindern und durch wild wuchernde Wälder besänftigt auch die strapazierteste Seele nach einem Totenfestbesuch.
Anja Sturm, Acher- und Bühler Bote, 8. Februar 2003