Ignaz Heinrich von Wessenberg

Er warb für ökumenische Offenheit. Er reformierte die Pfarrerausbildung - bis Rom sein Bistum auflöste.

Ignaz Heinrich von WessenbergWessenberg! Wenn Papst Pius VII. diesen Namen nur hörte, geriet der Puls seiner Heiligkeit ins Rasen. Wessenberg. Der Mann kannte keine Grenzen. Pius hatte dem Beherrscher Europas, Napoleon Bonaparte, widerstanden, hatte um der Kirche willen die größten Demütigungen ertragen, und nun drohte dieser seltsame Deutsche den Virus der Aufklärung ins Innere der römischen Kirche zu pflanzen. Dem musste Einhalt geboten werden, mit aller Macht, mit allen Mitteln, die dem geschwächten Oberhaupt der Kirche geblieben waren.
Ignaz Heinrich von Wessenberg, geboren am 4. November 1774 als Sprössling eines schwäbisch-alemannischen Geschlechts in Dresden, schien nichts anderes zu sein als ein intelligenter, tatkräftiger junger Mann, als ihn der Reichserzkanzler Carl Theodor von Dalberg 1802 mit gerade mal 27 Jahren zum Generalvikar des Bistums Konstanz machte, der größten Diözese nördlich der Alpen. Dalberg brauchte einen tüchtigen Helfer. Wie sonst hätte der Fürstprimas gleichzeitig dem Erzbistum Mainz, dem Bistum Regensburg und eben dem von Konstanz als Oberhirte vorstehen sollen?
Der eifrige Jungtheologe war übrigens noch nicht einmal zum Priester geweiht, als ihm Dalberg zutraute, das Bistum Konstanz zu leiten, dessen Gebiet weite Teile der deutschsprachigen Schweiz und des heutigen Baden-Württemberg umfasste. Da der ErzkanzIer fast vollständig damit beschäftigt war, das Überleben der katholischen Kirche in Deutschland nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches zu sichern, war sein Adlatus am Bodensee fast vollständig auf sich allein gestellt.
Und Wessenberg legte los. In atemberaubendem Tempo begann er, Reform um Reform ins Werk zu setzen. Wessenberg trieb die Überzeugung an, die Kirche werde nur überleben, wenn sie von gebildeten, geistig offenen Priestern und Laien getragen werde. "Lieber gar keine Geistlichen als geistesträge Ignoranten, von denen einer mehr verdirbt, als ein halbes Dutzend braver Manner gutmachen können", soll er gesagt haben. Also reformierte er die Priesterausbildung im Seminar zu Meersburg, sorgte für ein Pfarrerfortbildungsprogramm, gründete eine "Geistliche Monatsschrift" für den theologischen Dialog.
Das allein hätte ihm die Ultramontanen, die auf eine Stärkung der päpstlichen Autorität pochenden Teile der Kirchenführung, wahrscheinlich noch nicht zu Feinden gemacht. Dass Wessenberg Religionsunterricht einführte und ein neues Gesangbuch herausgab, hätten sie wahrscheinlich auch noch hingenommen. Dass der Generalvikar aber ein deutsches Volksmessbuch herausgab, den Gottesdienst in der Landessprache forcierte, die Eigenständigkeit der Ortskirche propagierte und überdies den ökumenischen Dialog mit den Protestanten im Südwesten Deutschlands betrieb, brachte ihm das unverhohlene Misstrauen des Papstes und der Kurie ein. In seinem Bistum sowie im gerade entstandenen Großherzogtum Baden hingegen schlug ihm breiteste Sympathie entgegen, vom Regenten über die Intellektuellen his hin zum einfachen Kirchenvolk.
Als das Konstanzer Domkapitel den Generalvikar nach dem Tod Dalbergs 1817 zum Bistumsverweser und damit zum designierten Nachfolger wählte, handelte Rom und erklärte die Wahl für ungültig. Aber das reichte nicht. 1821 löste der Vatikan das 1200 Jahre alte Bistum auf, weil sowohl Wessenberg als auch seine Wähler auf der Gültigkeit der Wahl beharrten.
Wessenberg überlebte die Desavouierung fast 40 Jahre. Er widmete sich seinen literarischen und künstlerischen Interessen, sammelte Gemälde, korrespondierte mit den großen Geistern seiner Epoche und gründete ein Haus für sozial gefährdete Mädchen in Konstanz. Er starb am 6. August 1860. Viele seiner Reformideen nahm das II. Vatikanische Konzil 100 Jahre nach seinem Tod auf.
In seinem Gedicht "Mein Glaube" hat er sein persönliches Credo hinterlassen: Toleranz gegenüber allen Religionen. "Drum glaub ich nicht, dass vor dem Gott der Welten / Des Talmud und des Alkoran / Bekenner weniger als Christen gelten; / Verschieden zwar, doch alle beten an!" Auf Wessenbergs Grab im Konstanzer Münster liegen his heute jede Woche frische Blumen.
Arnd Brummer