Was geschieht beim Segen?

"Unseren Segen habt ihr", sagen die Eltern. Beglückt schreitet das Brautpaar an die Stufen des Altars. Dort legt der Pfarrer seine Hände auf ihre Häupter und segnet sie in Gottes Namen. Nach der Trauung gibt auch die Verwandtschaft ihren Segen dazu. Denn beim Bund fürs Leben zählt vor allem eins: Alles ist zum Besten bestellt, wenn Segen auf der Ehe liegt. Hängt aber der Haussegen schief, droht handfester Ehekrach - allen Wünschen zum Trotz.
An wichtigen Wendepunkten im Leben bitten wir um Schutz und Sicherheit, wünschen uns, dass wir gesund bleiben, glücklich sind und uns untereinander vertragen. Mit einem Wort: Wir bitten um Segen.
Nicht nur zu besonderen Anlässen, auch in ganz alltäglichen Floskeln sprechen wir Segenswünsche aus, manchmal sogar ohne es zu bemerken. Wir sagen "Adieu", was auf Deutsch so viel heißt wie "Gott befohlen" oder "Gott möge dich behüten". Und wenn sich Angestellte und Arbeiter um die Mittagszeit ein "Mahlzeit" zubrummen, ist selbst in diesem knappen Gruß eine Segensbitte versteckt. "Gesegnete Mahlzeit" heißt der Zuruf vollständig. Auch auf dem Essen soll Segen liegen.
Doch was genau tut einer, der segnet? Solange uns niemand fragt, glauben wir zu wissen, was es mit dem Segen und dem Segnen auf sich hat. Wir sprechen Segenswünsche aus, als wären sie die natürlichste Angelegenheit der Welt. Dass ein Pfarrer segnet, nehmen wir als selbstverständlich hin - Segnen gehört zum Pfarrer wie die Kelle zum Maurer. Doch wenn uns jemand fragt, was denn nun genau beim Segen geschieht, sind wir meist ratlos.
Eines ist sicher: Wenn ein Pfarrer jemandem die Hand auf den Kopf legt und ihn segnet, meint er mehr als "Mach's gut und viel Glück". Natürlich kann der Pfarrer mit seinem Segen nicht Glück und Wohlergehen herbeizwingen. Der Segen liegt irgendwie dazwischen: Er ist mehr als ein lapidarer Glückwunsch und weniger als ein magisches Ritual.
Im Lateinischen heißt segnen "benedicere", wörtlich übersetzt: gutsprechen. Das Gegenstück dazu ist "maledicere", zu Deutsch: schlechtsprechen, also verfluchen. Das Lateinische lässt erkennen, dass segnen und verfluchen vom Prinzip einander sehr ähnlich sind. Wer einen Menschen segnet oder verflucht, will Einfluss auf dessen Zukunft nehmen. Mit dem einen großen Unterschied: In der beabsichtigten Wirkung sind Segen und Fluch kaum gegensätzlicher zu denken. Ein geschickt inszenierter Fluch kann einen Menschen außerordentlich stark verunsichern. Er kann ihn im Extremfall so destabilisieren, dass dieser Mensch tatsächlich Unheil auf sich zieht. Das Ganze ist ein psychologischer Mechanismus, den sich schwarze Kulte zunutze machen.
In der Kirche gibt es keine Fluchrituale. Das Christentum soll Menschen stabilisieren, nicht verunsichern. Auch beim Segen im christlichen Umfeld gibt es eine psychologische Komponente. Sie ist schwerer zu erkennen als beim Fluch, denn es ist leichter, Menschen psychisch zu vernichten als sie aufzubauen. Beim Segen legt der Pfarrer die Hände beschützend über einen Menschen. Oder er hält die Handflächen, nach unten geöffnet, symbolisch über die ganze Gemeinde. Manche Menschen fühlen sich dabei sicher und behütet. Manche finden diese Geste beruhigend. Es ist für viele Menschen ein besonders würdevoller Moment des Gottesdienstes.
Wichtig zu wissen ist: Nach evangelischem Verständnis kann man Menschen segnen, nicht aber unbeseelte Dinge. Autos, Erntemaschinen, Bauwerke können keinen Segen empfangen, lediglich die Menschen, die mit ihnen umgehen. An katholischen Kirchweihen beteiligen sich evangelische Pfarrer nur aus Respekt vor der katholischen Schwesterkirche. Doch auch hier gilt: Nicht den Mauern der Kirche gilt der Segen, sondern den Menschen, die sich zwischen ihnen bewegen.
Am wichtigsten jedoch ist: Niemals geht der Segen vom Pfarrer oder einem anderen Menschen aus. Der Segen kommt von Gott. Das betonen alle Segensbitten, auch die bekannte Segensformel aus dem Alten Testament: "Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden." (4. Buch Mose 6,24-26)
Wenn ein Pfarrer segnet, macht er den göttlichen Segen lediglich sichtbar. Er zeichnet dabei mit der rechten Hand die beiden Balken des Kreuzes nach, sei es als Zeichen vor der Gemeinde, sei es auf die Stirn eines Menschen. Diese Geste macht deutlich: Der Segen kommt von Gott, der in der Person Jesu Christi gekreuzigt wurde und von den Toten auferstand. Nach evangelischem Verständnis kann jeder Christ segnen. Jeder Christ ist von der Gnade Gottes berührt.
Burkhard Weitz