Gegen Hexenprozesse und Folter

400 Jahre ist es her, dass ein badischer Pfarrer den Mut fand, öffentlich Folter und Hexenprozesse anzuprangern, und das in einer Zeit, in der die Hexenverfolgung ihren grausamen Höhepunkt erreichte. Die Rede ist von Anton Praetorius. Historiker suchen heute noch nach Gründen, wie es zu den Hexenverfolgungen kommen konnte. Fest steht, dass im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland ein geistiges Klima herrschte, das die Verfolgungen begünstigte. Kriege, Krankheiten und Katastrophen erzeugten bei den Menschen Angst und Panik. Es herrschte Endzeitstimmung. Um 1590 wüteten die spanischen Truppen in Deutschland. Eine Pestepidemie raffte teilweise die Hälfte der Bevölkerung hinweg. Überall in Mitteleuropa sanken die Temperaturen - die so genannte kleine Eiszeit. Die Ernten verdarben, die Menschen litten Hunger, das Vieh starb. Krankheiten breiteten sich aus. Die Menschen fragten sich, wieso diese Katastrophen passierten. Sie führten in ihrer abergläubischen Weise alles auf Schadenszauber zurück. "Hexen" wurden beschuldigt, den Menschen gezielt Schaden zuzufügen. Man suchte Sündenböcke und man fand sie. Die Hetzjagd auf die Hexen begann.
Auch an Baden ging die Hexenverfolgung nicht spurlos vorüber. Die protestantische Markgrafschaft Baden-Durlach war ein verfolgungsarmes Gebiet, wo lediglich einzelne Hexenprozesse stattfanden. 1598 wird die Frau des Hans Bechthold aus Ersingen angezeigt: Sie soll mit "schwarzem Käse oder Äpfeln" Schadenszauber begangen haben. Insgesamt waren 10 Frauen angeklagt worden. Sieben davon wurden hingerichtet. Wesentlich mehr Opfer waren im Baden-Badener Teil der Markgrafschaft zu beklagen, die sich zum katholischen Glauben bekannte. Als 1622 das evangelisch gewordene Baden dem katholisch ausgerichteten Fürsten übertragen wird, werden in sieben Jahren 244 Personen wegen Hexerei angeklagt. Erstes Opfer einer Hexerei Anschuldigung wurde eine arme alte Frau aus Baden-Baden. Sie wurde vor Gericht gestellt, verurteilt und verbrannt. Unter der Folter nannte sie schließlich Namen von anderen Frauen, die mit ihr angeblich zusammen "Hexenwerk" getrieben hätten. Anna in Baden wird "besagt" (angezeigt) und man erzählt von ihrem bösen Blick. Erschreckende Wellen von Hexenverfolgungen begannen. 280 Menschen wurden verhaftet und hingerichtet. Erst der Einmarsch der protestantischen schwedischen Truppen in die Markgrafschaft 1632 setzte den Hexenprozessen ein Ende. Endgültig wurde die Folter in Baden erst am 9. September 1767 abgeschafft.
Weitgehend unbekannt in der Öffentlichkeit ist, dass die Hexenprozesse nicht von kirchlichen Gerichten abgehalten wurden. Es waren einzig staatliche Gerichte, die über die Todesstrafe zu entscheiden hatten. Nicht nur Frauen wurden angeklagt. 30 Prozent der Opfer der Hexenverfolgung waren Männer. Sogar Kinder wurden verurteilt und verbrannt. So nahm die Verfolgungswelle von 1629 mitten im 30-jährigen Krieg ihren Ausgang mit dem Prozess gegen die Zauberkinder aus Bettingen. Über einen Zeitraum von 50 Jahren wurden Menschen beschuldigt, von Gott abgefallen zu sein und sich einer geheimen Terror Vereinigung von Satansanhängern angeschlossen zu haben. In den letzten Jahren ist von Gruppen und einzelnen Personen immer wieder die Überlegung aufgeworfen worden, wie die Opfer der Hexenprozesse rehabilitiert werden könnten. Es gab keine Hexen, sondern Menschen wurden durch die Folter zu Hexen gemacht. In den 200 Jahren seit der letzten Hinrichtung einer Hexe ist nie gesagt worden, dass sie unschuldig verbrannt wurden. Das Thema ist gesellschaftlich nicht aufgearbeitet worden und wird auch nach Jahrhunderten immer noch sehr emotional diskutiert. Vielen Menschen, vor allem Frauen, ist damals bitteres Unrecht getan worden. Trotz schlimmster Foltern haben angeklagte Frauen und Männer bis zuletzt an ihrem Glauben an Gott festgehalten und sich als wahrhafte Märtyrer erwiesen. 1626 wird Katharina Hang aus Kuppenheim verhaftet und gefoltert. Nach dem schrecklichen Verhör schreibt sie einen Brief an ihren Bruder: "Bitte, lieber Bruder, setzet kein Misstrauen in mich! So wahr Gott Himmel und Erde erschaffen hat, sie thun mir alles Unrecht. Ich weiß, so wahr Gott ist, nichts vom Hexenwerk. Das Vertrauen habe ich zu meinem Herrgott, dass er mein Seufzen hört und dass die Tränen, die ich unschuldig vergießen muss, durch die Wolken dringen zu Gott. Er ist allein der gute Hirte. Er wird mich in meiner großen Not nicht sterben lassen, dass mich der Henker nicht angreift, ehe meine Unschuld an den Tag kommt." Nach 400 Jahren sollten die Opfer theologisch rehabilitiert, religiöse Schuld von ihnen genommen und ihre Christenehre wiederhergestellt werden, statt weiter als Hexen zu gelten.
Durch ihre Verkündigung trugen Vertreter der damaligen Kirchen eine Mitverantwortung für die Entstehung der Hexenlehre und Hexenverfolgung. Neben der katholischen Kirche glaubten auch die Reformatoren Luther und Calvin an die Existenz von Hexen und forderten entschieden ihre Verfolgung und Hinrichtung. Solche Lehrmeinungen fanden ihren Niederschlag beispielsweise in Kirchenordnungen, wo häufig darauf hingewiesen wird, dass Zauberer "ohn alle Barmherzigkeit" zu strafen seien. Den Kirchen fällt nicht eine Alleinverantwortung an der Hexenverfolgung zu. Die Forderung nach Durchführung von Hexenprozessen wurde damals durchgängig von allen gesellschaftlichen Institutionen getragen (Obrigkeit, Justiz). Oft forderte die Bevölkerung vehement, die Hexen aufzuspüren und zu bestrafen.
Heutzutage gilt Kirche als eine gesellschaftliche Institution mit moralischem Anspruch und besonderer Verpflichtung. Für eine Rehabilitation der Opfer und als Impuls für eine Neuschreibung der Geschichte der Hexenverfolgung wird von vielen Menschen ein grundsätzlich klärendes Wort der Kirchen erwartet, denn die Angeklagten standen wegen eines theologischen/religiösen Sachverhalts vor Gericht. Im Jahr 2000 wurde vom Weltrat der Kirchen die "Akumenische Dekade zur Überwindung der Gewalt" ausgerufen. Dies könnte ein Anlass sein für Kirchen und Christen, sich mit der Mitverantwortung an den Hexenverfolgungen zu beschäftigen: "Vielleicht müssen wir damit beginnen, unseren Anteil an der Gewalt zu akzeptieren und die Verantwortung dafür zu übernehmen." Als erste und einzige gesellschaftliche Institution in Deutschland hat sich 1997 die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern in einer ausführlichen Stellungnahme zu den Hexenprozessen und ihren Opfern geäußert. Die Synode der Evangelischen Kirche in Westfalen hat 2001 ebenfalls beschlossen, eine Stellungnahme zu den Hexenprozessen zu erarbeiten. Auch in Baden sind in den meisten Orten die Namen der Opfer verdrängt worden oder in Vergessenheit geraten. Aber die unschuldigen Opfer eines gnadenlosen Systems verdienen auch nach bald 350 Jahren unsere Achtung, jeder Name ein ehrenvolles Andenken. Es ist wichtig, dem Vergessen zu widerstehen und für das Gespräch mit der Jugend konkrete Orte der Erinnerung zu schaffen. Darin liegt die Verpflichtung, sich der Gefahren totalitärer Systeme bewusst zu werden und die Würde jedes Menschen zu verteidigen.
Als erster evangelischer Pfarrer erhob Anton Praetorius in Baden seine Stimme gegen Hexenprozesse und Folter. Er wurde in Lipstadt/Westfalen geboren. Bereits als jugendlicher sammelte er Erfahrungen mit der Grausamkeit der Hexenprozesse in seiner Heimatstadt. 1586 wurde er Rektor der Lateinschule in Kamen und heiratete dort. Praetorius erlebte persönliche Katastrophen wie so viele Menschen seiner Zeit. Aber er suchte die Ursache seines Unglücks nie bei anderen. Seine erste Frau Maria hatte drei Fehlgeburten und starb. Seine zweite Frau starb kurz nach der Hochzeit an der Pest. Er wirkte als Pastor in Worms, Dittelsheim und Oppenheim.
Am 4. Mai 1597 wurde Praetorius als Hofprediger vom Grafen von Ysenburg-Büdingen zum Mitglied des Gerichtes gegen vier Hexen berufen. Das Gericht in Birstein ließ die Frauen foltern, um ein Geständnis zu erzwingen. Doch Praetorius machte nicht mit. Er war Christ, und sein Maßstab waren die Bibel und die Botschaft der Nächstenliebe. Der Pfarrer wetterte derart gegen die Folter, dass der Prozess beendet und die noch lebende Gefangene freigelassen wurde. Dies ist der einzige überlieferte Fall, dass ein Geistlicher während eines Hexenprozesses die Beendigung der unmenschlichen Folter verlangte - und Erfolg hatte. Der Schreiber der gräflichen Kanzlei hielt diesen ungewöhnlichen Vorfall fest: "Weil der Pfarrer alhie heftig dawieder gewesen, als man die Weiber peinigte, also ist es diesmal deßhalben unterlassen worden." Der Graf entließ seinen Hofprediger umgehend. Praetorius fand in Laudenbach/ Bergstraße in der Nähe von Heidelberg eine neue Pfarrstelle. Dort schrieb er ein Buch gegen die unchristlichen Hexenprozesse: "Gründlicher Bericht über Zauberey und Zauberer" (1602), das großes Aufsehen in Deutschland erregte. Schonungslos attackierte Praetorius die unmenschlichen Hexenverfolgungen. Mit drastischen Worten kritisierte er Rechtsbrüche und Grausamkeit der Juristen: "O Ihr Richter, was macht Ihr doch? Dass Ihr schuldig seid an dem schrecklichen Tod Eurer Gefangenen? Ihr seid Totschläger! Welche Richter zu der Ungerechtigkeit Lust haben und unschuldiges Blut vergießen, werden in Gottes Hand zur Rache verfallen und sich selbst in die unterste Hölle hinabstürzen!" Schwierig war es, eine Druckerei zu finden, die ein solch "gefährliches" Buch zu verlegen bereit war. Schließlich wurde das Buch unter einem Pseudonym, dem Namen des Sohnes von Praetorius "Johannes Scultetus" veröffentlicht, aber schon vier Jahre später wagte es Praetorius, das Buch unter seinem eigenen Namen zu publizieren. Um 1600 begann sich in der evangelischen Kirche überkonfessionelle Opposition gegen die Hexenverfolgung zu formieren. In seinem Kampf gegen Hexenprozesse und Folter erhielt Anton Praetorius Unterstützung von Gesinnungsgenossen in ganz Deutschland. Die lange Liste der Widmungen in seinem Buch von 1613 zeigt, dass es überall unter angesehenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens etliche Kritiker der Hexenprozesse gab. Praetorius kämpfte viele Jahre bis 1613 unter Einsatz seines Lebens gegen Folter und Hexenprozesse und trug so 30 Jahre vor dem bekannten katholischen Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld seinen Anteil zur späteren Überwindung der Hexen verfolgung bei. In seinem Kampf für mehr Menschenrechte und Humanität hat er das gezeigt, was auch heute wichtig ist: Glaubensüberzeugung und Zivilcourage.
Der Unnaer Berufsschulpfarrer Hartmut Hegeler, der in Standpunkte das Buch von Praetorius über das Große Fass von Heidelberg vorstellte, hat zum ersten Mal eine Lebensbeschreibung dieses außerordentlichen Kämpfers gegen den Hexenwahn geschrieben. Das Buch ist beim Autor erhältlich: Hartmut Hegeler, Sedanstraße 37, 59427 Unna, Telefon (0 23 03) 5 30 51, Hartmut. Hegeler@gmx.de, und kostet 14,99 Euro. Weitere Informationen im Internet unter http://www.anton-praetorius.de
Hartmut Hegeler