Frage: Müssen Pfarrer bessere Menschen sein?

Ein Vorbild an Moral und Anstand - so sehen viele Menschen die Geistlichen. Gerade von den Würdenträgern in Schwarz erwarten sie einen tadellosen Lebenswandel. Entsprechend groß ist das Entsetzen, wenn Ideal und Wirklichkeit wieder einmal auseinander klaffen.
Antwort:
Auf einmal nannten ihn die Zeitungen nur noch den "Todespastor". Ein Pfarrer aus Niedersachsen hatte seine Frau erschlagen. Doch damit nicht genug: Eine andere Frau hat er auch noch gehabt. Und mit ihr soll er angeblich wenige Stunden nach der Mordtat im Bett gewesen sein. Das Gericht verurteilte den Pfarrer nach einem Indizienprozess zu acht Jahren Gefängnis. Gut drei Jahre ist das her.
Ein Pfarrer als Mörder und Ehebrecher? Das erscheint der Öffentlichkeit als eine noch größere Zumutung, als wenn "normale" Menschen so etwas tun. Aber selbst wenn es nicht gleich um Mord und Totschlag geht, schlagen moralische Verfehlungen von Pfarrerinnen und Pfarrern besonders hohe Wellen. Warum eigentlich? Gilt für sie eine höhere Moral als für andere? Müssen Pfarrerinnen und Pfarrer bessere Menschen sein?
Der Streit um die moralische Fehlbarkeit ihrer Amtsträger ist so alt wie die Kirche selbst. Schon im Neuen Testament finden sich klare moralische Weisungen. So heißt es im ersten Timotheusbrief über den Geistlichen, er soll "untadelig sein, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, maßvoll, würdig, gastfrei, ( ... ) einer, der seinem eigenen Haus gut vorsteht und gehorsame Kinder hat in aller Ehrbarkeit".
Doch bereits in der Alten Kirche stieß der hohe moralische Anspruch an die eigenen Amtsträger an Grenzen und führte zu Konflikten. Sie entzündeten sich an der Frage der Glaubenstreue. Ab dem dritten Jahrhundert war es im Römischen Reich zu systematischen Christenverfolgungen gekommen. Unter Androhung von Tod und Folter hatten viele Christen, auch Priester und Bischöfe, ihrem Glauben abgeschworen und dem Kaiser und den alten Göttern gehuldigt. Wie war es fortan mit den Sakramenten, die diese weiter spendeten, mit Taufe und Abendmahl? Waren sie gültig oder ungültig?
Wie waren die Umfaller überhaupt zu behandeln? Konnte ihnen die Kirche vergeben? Durften sie weiter Priester sein? Nach langem Streit entschied sich die Kirche: Die Sakramente sind unabhängig von der Moral und Würdigkeit ihrer Spender gültig.
Damit schaffte sie sich eine Menge Probleme vom Hals. Wenn folglich ein Pfarrer oder Bischof persönlich versagte, stand nicht mehr gleich die Glaubwürdigkeit der ganzen Kirche auf dem Spiel. Es wurde deutlich unterschieden zwischen dem geheiligten Amtsträger der Kirche und seinem Dienst einerseits und dem sündigen Menschen andererseits. Die heiligen Handlungen aber, die er Kraft seines Amtes vollzog, blieben von seinen Sünden grundsätzlich unberührt.
Auf der anderen Seite hielt die Kirche aber daran fest, dass der geweihte geistliche Stand doch etwas qualitativ anderes ist als das normale Kirchenvolk. In der römisch-katholischen Kirche ist das bis auf den heutigen Tag so. Ohne einen geweihten Priester, der als Mittler zwischen Gott und Mensch tritt, kann es nach römisch-katholischem Verständnis zum Beispiel keinen vollgültigen Gottesdienst geben.
Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts lösten den Priesterstand als Institution mit eigener, exklusiver Vollmacht auf. Die protestantischen Kirchen orientieren sich von Beginn an konsequent am Leitbild des "Priestertums aller Getauften". Zwar gibt es auch in diesen Kirchen Pfarrer und Bischöfe, Männer und Frauen. Sie stehen aber nicht als geistlicher Stand, das heißt als exklusive Vermittlungsinstanz für das Verhältnis zu Gott, den Gläubigen gegenüber. Sie haben lediglich aufgrund ihrer theologischen Ausbildung eine besondere Qualifikation, Gottesdienste abzuhalten und die Bibel auszulegen. Das ist etwas grundlegend anderes als das priesterliche Amtsverständnis der römisch-katholischen Kirche. Und es hat erhebliche Konsequenzen für unser Bild vom Pfarrer. Zwar spricht man auch im Protestantismus von "Geistlichen", obwohl die Amtsträger ebenso "weltlich" sind wie andere Kirchenmitglieder. Und Pfarrerinnen und Pfarrer müssen streng genommen auch keine besseren Menschen sein. Um ihren Auftrag zu erfüllen, nämlich das Evangelium zu verkündigen und die Sakramente zu verwalten, ist dies jedenfalls nicht notwendig. Doch so einfach ist das im alltäglichen Gemeindeleben nicht. Eine radikale Trennung von Person und Amt ist in der Praxis schwierig. Denn zwangsläufig werden Pfarrerinnen und Pfarrer an den Prinzipien gemessen, die sie verkündigen.
Wenn ein Pfarrer predigt, die Gemeinde solle sich im Umgang mit den Armen ein Vorbild an Jesus nehmen, selbst jedoch unmäßigem Luxus frönt, ist das der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft abträglich. Und wenn er Treue predigt, aber seine Ehefrau betrügt, dann rückt er seine Kirche in ein schiefes Licht. Es ist nötig, dass Pfarrer mit ihrem Lebenswandel nicht eine "Gegenpredigt" zur Botschaft ihrer Kirche halten.
Zumindest eine "mittlere Anständigkeit" sollten Pfarrer im Amt wahren, so drückte es einmal der frühere hannoversche Landesbischof Horst Hirschler aus. Auch wenn über die Grenzen des Anstands immer wieder zu reden ist, denn sie unterliegen dem Wandel der Zeiten wie viele andere Normen und Bräuche.
Reinhard Mawick