Lehrer Deutschlands

Philipp Melanchton war bedeutender Reformator, Humanist und Universalgelehrter.
Seine Gedenkstätte in Bretten wird 100 Jahre alt

Philipp MelanchtonWände, Boden und Decke sind mit dunklem Holz und Tapeten ausgekleidet. Alles typisch Jugendstil. An den Seiten hängen große Gemälde von Fürsten, Grafen und Adeligen, die sich in ihren Territorien für die Reformation eingesetzt haben. Das Zimmer wirkt ruhig und dämmerig. Nur aus den Vitrinen, die sich durch die Mitte des Raumes ziehen, schimmert ein angenehmes Licht, das die Blicke sofort auf sich lenkt.
"Dieses Zimmer war besonders problematisch", erklärt Günter Frank, Kustos des Melanchthonhauses. "Wir durften nicht in die Architektur des Raums eingreifen, und das Zimmer hatte keinen Stromanschluss." Vorsichtig wurde der Parkettboden des Raums geöffnet, um Stromleitungen zu den Vitrinen zu legen. Dort erstrahlt nun ein UV-freies Licht, damit die wertvollen Exponate genau betrachtet werden können und zugleich erhalten bleiben. Denn im Fürstenzimmer des Melanchthonhauses ist ein wichtiger Teil des Lebens und Schaffens Philipp Melanchthons ausgebreitet. Beispielsweise die Theologischen Traktate von 1535, mit denen er einen Gesamtbestand der Theologie niedergeschrieben hat.
"Gott zu Ehren, Melanchthon zum Gedächtnis. Errichtet von der Evangelischen Christenheit", steht an der Fassade des Gebäudes im Stadtkern von Bretten. Das Haus mit der neugotischen Fassade direkt gegenüber dem Marktbrunnen entstand genau an jener Stelle, an der bis 1689 das Geburtshaus des Humanisten und Reformisten Philipp Melanchthon, geborener Schwarzerdt, gestanden hatte. Vor 100 Jahren wurde diese Gedenkstätte Melanchthons, die der Berliner Theologe Nikolaus Müller initiiert hatte, eingeweiht. Die Mitarbeiter der Gedenkstätte werden von der Kommune bezahlt, der Melanchthonverein betreibt das Museum und betreut die Bibliothek. Anlässlich des Jubiläums in diesem Jahr wurde das Innere des Hauses noch einmal gründlich überarbeitet.
Spuren der Veränderung sind bereits beim Eintritt in die Gedächtnishalle im Erdgeschoss des Hauses erkennbar. Zwischen den Statuen der bedeutenden Männer der Reformation von Johann Bugenhagen bis Justus Jonas scheinen fast schwerelos die indirekt beleuchteten Texttafeln zu schweben. Die neuen Elemente sind fast unmerklich in das alte Ambiente des Hauses integriert. Gleich links neben dem Eingang steht ein Computer. Ein zweiter steht im Wappenzimmer des Museums. An beiden kann der Besucher einen virtuellen Rundgang durch das Gebäude starten. Beispielsweise kann man sich durch den Briefwechsel Melanchthons mit den 121 mit Wappen abgebildeten Orten des Städtezimmers klicken, von Altenburg bis Zwittau.
Auch die ständige Ausstellung des Melanchthonhauses wurde von Kustos Günter Frank neu überarbeitet. In neuen, vor UV-Licht schützenden Vitrinen kann man jetzt beispielsweise nachverfolgen, was Melanchthon mit dem Humanismus verband. Im Theologenzimmer liegen Schriften Martin Luthers, Calvins und anderer Reformatoren zum Vergleich nebeneinander.
Ein kleiner, hagerer Mensch war er gewesen mit einem Sprachfehler, aber zugleich so wortgewaltig, dass der 21-Jährige den 14 Jahre älteren Martin Luther bereits bei seiner Antrittsrede an der Wittenberger Universität tief beeindruckte. "Unser Philipp Melanchthon, ein wunderbarer Mensch, ja einer, an dem fast alles übermenschlich ist, er ist mir dennoch ganz vertraut und befreundet", schrieb Luther, nachdem sich die beiden vier Monate kannten. Melanchthon sei im 19. Jahrhundert während des Kulturprotestantismus die Top-eins-Adresse gewesen, berichtet Frank. "Melanchthon hat den Anschluss der Reformation an die Neuzeit gewährleistet." Dennoch sei das Interesse der Öffentlichkeit an der Person Melanchthon nach dem Zweiten Weltkrieg stark zurückgegangen. Mit dem Zusammenbruch des Kulturprotestantismus kam der Vorwurf auf, dass Melanchthon die Reformation verdorben habe, so Frank. Dieses Negativ-Urteil habe sich in der Forschung mittlerweile wieder gewandelt. Dennoch sei das Interesse am gebürtigen Brettener in der Öffentlichkeit weiterhin gering. Das neue Ausstellungskonzept möchte deshalb auch die Rolle Melanchthons als Universalgelehrter verdeutlichen. "Wir wollen wegkommen von der überkommenen duographischen Perspektive Luther - Melanchthon und die Eigenständigkeit Melanchthons zeigen", erläutert Günter Frank. Neben seinen theologischen Schriften sind von ihm Grammatiken, Lehrbücher über fast alle Wissensgebiete der damaligen Zeit und Übersetzungen antiker Autoren überliefert. Mit diesen und zahlreichen Schul- und Universitätsordnungen hat er sich den Ehrentitel "Praeceptor Germaniae" (Lehrer Deutschlands) erworben.
Das Melanchthonhaus in Bretten ist mehr als nur ein Museum, es ist eine Gedenk- und Forschungsstätte, die sich dem europäischen Einfluss Melanchthons widmet. Neben der dauerhaften Ausstellung über Leben und Werk des Reformators beherbergt es beispielsweise die rund 11.000 Bände umfassende Bibliothek, die vollständig wissenschaftlich erschlossen und zu Forschungszwecken nutzbar ist. Die Bibliothek dient der Analyse der Reformation und des Renaissance-Humanismus. Im Mittelpunkt steht die Beschäftigung mit Philipp Melanchthons Leben und Werk. Erstausgaben und Drucke der Schriften des Universalgelehrten, Bücher über ihn und viele Ausgaben des Augsburger Bekenntnisses umfasst der Bestand. Dieses Angebot wird auch international genutzt. "Hier hat vor kurzem beispielsweise ein Student aus St. Petersburg den Einfluss Melanchthons auf das Kyrillische untersucht", so Frank.
Im Haus finden außerdem regelmäßig wechselnde Ausstellungen zum Thema Religionsgeschichte statt. Vom 13. September bis 12. Oktober werden beispielsweise die zahlreichen Grafiken, die sich im Besitz des Melanchthonhauses befinden, in einer umfassenden Überblickschau zu sehen sein. Einmal im Jahr gibt es zudem einen mehrtägigen Kongress, alle drei Jahre wird der Melanchthonpreis für einen herausragenden Forschungsbeitrag verliehen. Die Gedächtnishalle wird außerdem regelmäßig für Melanchthonhaus-Konzerte, Lesungen und Kabarett genutzt. Höhepunkt der diesjährigen Jubiläumsfeier des vielgenutzten Hauses wird eine akademische Festveranstaltung am 16. November sein. Zum Festakt werden unter anderem Repräsentanten der Landesregierung und der Kirche, darunter auch Landesbischof Ulrich Fischer, erwartet.
Tipp: Die aktuellen Öffnungszeiten des Melanchthonhauses können telefonisch unter (07252) 94410 erfragt werden. Weitere Informationen zur Gedenkstätte gibt es im Internet unter www.melanchthon.com.
Alexandra Schmidt