Der eine pflegt Gemütlichkeit,
der andere schwört auf Bewegung.
Doch auf dem Weg zum Himmelstürlein sehen sich beide

HEINRICH GRAF HENCKEL VON DONNERSMARCK, adelig geboren 1935 in Oberschlesien, mit 18 Jahren Eintritt in den Orden der Prämonstratenser, Ordensname Augustinus, studierte Theologie und Philosophie, ab 1985 Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen. Seit 2000 Geschäftsführer der Unternehmensberatung "unicorn"

ULRICH STRUNZ, studierter Physiker, promovierter Mediziner, Internist und praktizierender Orthomolekular-Mediziner, 58 Jahre alt, genannt "der Fitnesspapst", propagiert Laufen zum Jungbleiben. Multimillionär durch seine Bücher
CHRISMON: Herr Strunz, sind Sie heute schon gelaufen?
ULRICH STRUNZ: Natürlich. ich lebe täglich, also laufe ich täglich.
CHRISMON: Und Sie, Herr von Donnersmarck? Sind Sie mal gelaufen in Ihrem Leben?
HEINRICH GRAF HENCKEL VON DONNERSMARCK: Das ist lange her. Ich bin zwar weder Preuße noch Offizier. Aber ich halte mich an die alte Regel: Ein preußischer Offizier läuft nicht, es sei denn gegen den Feind. Und weil ich meine Feinde liebe, habe ich keine Veranlassung zu laufen. Abgesehen davon trage ich meistens lange Gewänder. Laufen wäre da ein höchst unglückliches Unterfangen. Man fällt nur auf die Schnauze dabei. In jungen Jahren bin ich begeistert auf Berge geklettert. Heute kann ich froh sein, wenn ich überhaupt ein paar Schritte gehe am Tag.
STRUNZ: Dabei macht Laufen so fröhlich! Früher habe ich gedacht, das Leben sei schwer. Aber irgendwann bin ich auf den Trick der Kinder gekommen. Wenn ein Kind rennt, lächelt es. Das muss so sein. Bewegung macht froh. je älter ich werde, desto fester bin ich davon überzeugt, dass man sehr viele Gefühle ganz simpel erklären kann: mit Hormonen, mit Molekülen, mit all dem, was im Körper passiert.
DER SPORTMUFFEL. "Um Gottes willen keine
Glaubenssätze aus solchen Dingen machen!"
VON DONNERSMARCK: Ich vermute: Meine Lebensfreude würde die Lauferei eher mindern. Sport ist nichts für mich. Außerdem bin ich ein Gegner von allem, was man machen muss. Sie sehen an meiner Figur: Ich koche gern. Aber ich werde sofort kratzig, wenn ich kochen muss. Als junger Mann bin ich viel Motorrad gefahren. Bei schönem Wetter hat das großen Spaß gemacht. Aber wenn ich bei Regen und Kälte fahren musste, war es eine einzige Plage.
STRUNZ: Genau: Wer muss, mag nicht. Darum haben meine Bücher eine auch mich so verblüffende hohe Auflage. Den meisten Menschen hat man Bewegung mit dem Wort "Sport" vermiest. Sie wissen nicht, dass Bewegung etwas Schönes sein kann. Ich führe die Menschen an diesen Gedanken heran. Sage ihnen, dass sie etwas für ihre Lebensfreude tun können. Gesundheit allein zieht nicht.
Graf Henckel von Donnersmarck CHRISMON: Diese Lebensfreude hat auch viel mit der Eitelkeit zu tun, einen schönen Körper haben zu wollen.
VON DONNERSMARCK: Ich bin auch eitel. Meine Eitelkeit ist nur etwas subtiler. Wenn man gebaut ist wie ich, fragt man sich nicht, ob man eine gute Figur hat.
CHRISMON: Sie möchten mit Herrn Strunz tauschen?
VON DONNERSMARCK: Durchaus nicht. Ich bin zufrieden so. Sport ist völlig in Ordnung, wenn er jemandem Freude macht. Aber ich tue nichts, weil es "in" ist - oder weil ich es muss. Wenn mir der Doktor sagte, ich müsste laufen, würde ich wahrscheinlich den Arzt wechseln. Ich fühle mich wohl, so wie es ist. Und das ist das Entscheidende. Mit meinem Obergewicht müsste ich eigentlich massive Rückenprobleme haben. Hab ich aber nicht. Weil ich viel am Stehpult arbeite. Und durchaus fähig bin, mich im Büro bäuchlings auf den Fußboden zu legen, mit den Beinen zu baumeln und ein Buch zu lesen. Für die Sekretärinnen ist das gelegentlich ein ungewohnter Eindruck. Wichtig ist mir, so seltsam das aus dem Mund eines Theologen auch klingen mag: Um Gottes willen keine Glaubenssätze aus solchen Dingen machen!
STRUNZ: Stimmt. Ich schreibe auch niemandem einen Weg vor. Sonst hätte ich mich längst verlaufen. Allerdings habe ich als Arzt dreißig Jahre lang viele leidende Menschen vor mir gesehen. Ich saß auch selbst mal im Rollstuhl und weiß, was Leiden heißt. In all diesen Jahren habe ich darüber nachgedacht, was ich, was meine Patienten anders machen können. In der Natur habe ich die Antwort gefunden. Ich sage gar nicht, dass man laufen muss. Aber man muss sich bewegen, wie ein Kind, jeden Tag. Oder wie Luis Trenker, der mit siebenundneunzig Jahren noch Berge bestiegen hat.
CHRISMON: Laufen Sie vor dem Alter davon?
STRUNZ: Wer läuft, läuft dem Alter davon, das ist tatsächlich so. Ich habe das Alter leiden sehen. In der Regel sind meine Zuhörer und Leser um die fünfzig Jahre alt. Sie merken, dass ihnen alles immer schwerer fällt. Diesen Weg nach unten kann man nicht nur aufhalten. Man kann ihn sogar umdrehen. Wenn man ein bestimmtes Regime führt.
Dr. Ulrich Strunz
CHRISMON: Das erfordert ziemlich viel Disziplin.
VON DONNERSMARCK: Mein Leben auch! Nur weil ich keinen Sport treibe, lasse ich mich doch nicht gehen. Tag für Tag bringe ich ein erhebliches Maß an Selbstdisziplin auf Innerhalb meiner vier Wände unterliege ich ja keinerlei sozialer Kontrolle. Meine Mutter pflegte nach dem Tod meines Vaters zu sagen: Wenn ich will, kann ich bis vier Uhr nachmittags im Bett bleiben und muss mich nicht mal frisieren. So geht es mir auch. Dass ich dennoch jeden Morgen aufstehe und mein Brevier bete, wenn möglich die heilige Messe feiere, meine Betrachtung halte, irgendwann im Lauf des Tages meinen Rosenkranz bete, ist immer wieder von neuem eine Frage der Selbstdisziplin. Sonst könnte ich mich einfach umdrehen und weiterschlafen.
STRUNZ: In Wahrheit geht es mir um etwas Ähnliches wie Ihnen. Darum, dass die Menschen wieder träumen. Sich hinsetzen, meditieren, einen Rosenkranz beten. Irgendwas. Das kann man besonders gut, wenn man sich bewegt und vernünftig ernährt. jeder Läufer kommt nach einer Weile zu Erfahrungen, die er vielleicht zuletzt als Kind zu Weihnachten hatte. So werden die Menschen ein bisschen heller, wacher und halten vielleicht tiefer gehende Zwiesprache mit sich und der Welt.
VON DONNERSMARCK: Da stimme ich zu. Laufen ist dazu da, den Menschen aufzulockern. Wie man ein Blumenbeet gelegentlich mit der Harke ein bisschen auflockern muss, damit Luft an die Wurzeln kommt. Der heilige Augustinus, mein großer Namenspatron, hat mal gesagt, das Reich Gottes erreiche man auf ganz unterschiedlichen Wegen. Der eine rennt, der andere hüpft, der Dritte geht ganz langsam und gemächlich. Aber alle kommen ans gleiche Ziel.
STRUNZ: Das Ziel des Laufens ist es, ein Türchen zu finden. Das Türchen zu der Kraft, zum Universum, zu Gott, zu was immer. Meine Frau hat dieses Türchen gefunden. Ich suche noch.
VON DONNERSMARCK: Mit Ihrem Programm erreichen Sie eine große Zahl von Suchenden. Viele sind ja relativ weit weg von der Kirche. Aber egal, wie kirchenfern die Menschen auch sind: Überall dort, wo die Kirche diakonisch beziehungsweise karitativ tätig ist, wollen sie mitmachen. Banker, Großgrundbesitzer, Rechtsanwälte begleiten Kranke nach Lourdes und pflegen sie eine Woche lang. So kann man die Menschen packen. Wenn ich den Managern, die ich mit meiner Firma berate, sage, sie sollten meditieren, verstehen einige nur Bahnhof. Meditieren liegt einfach außerhalb ihrer Erfahrungswelt. Schlägt man ihnen dagegen vor, jeden Tag eine halbe Stunde zu laufen, hat man etwas Packendes. Und aus diesem Tun kommt dann so manches andere.
STRUNZ: Genauso ist es. Wunderbar definiert. Man muss die Menschen irgendwo packen, sie abholen. Augustinus hat gesagt: Oh Mensch, lerne tanzen. Sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen. Das ist ein herrlicher Satz. Lebensfreude ist nun mal gekoppelt an Bewegung, das haben die Engel im Himmel auch gewusst.
DER FITNESSPAPST: "Ich schreibe niemandem einen Weg vor.
Sonst hätte ich mich längst verlaufen"
CHRISMON: Herr von Donnersmarck: Haben Sie einen Tipp für Herrn Strunz, wie er auf seiner Suche nach Gott fündig wird?
VON DONNERSMARCK: Der einzige Tipp heißt: weitersuchen. Ich bin seit vierzig Jahren Priester. Als junger Mensch war ich in manchen Ansichten eher radikal und wahrscheinlich furchtbar unangenehm. Aber aus der Erfahrung im Umgang mit den Menschen bin ich milder geworden. Mit achtzehn fahren wurde ich Mönch. Mit dreißig wusste ich, wer ich bin. Mitte dreißig habe ich mich damit abgefunden, dass ich bin, wie ich bin. Denn es ist ja nicht alles nur Gold. Dann habe ich noch ein paar Jahre gebraucht, bis ich begriffen hatte, dass man Gottes nicht habhaft werden kann. Sondern dass es, wenn überhaupt, umgekehrt ist. Gott wird des Menschen habhaft. Seitdem weiß ich mehr und mehr, dass wir auf der Suche sind. Das kann uns niemand abnehmen. Trotzdem muss ich in meinem Beruf mit Überzeugung von Gott reden, ohne selbstgerecht zu sein. Ein Arzt muss mit Überzeugung vertreten, dass der Mensch Hoffnung haben sollte. Selbst dann, wenn er weiß, dass die Hoffnung in den Tod führt. Diese Spannung müssen wir in uns selbst aushalten. Rezepte gibt es nicht. Wer es ernst meint mit der Suche nach Gott, muss recht bald seine erste Lektion lernen: Er ist völlig allein.
CHRISMON: Was leistet dann die Kirche?
VON DONNERSMARCK: Die Kirche hilft dem Einzelnen mit ihren Sakramenten und Glaubensinhalten. Sie trägt den Suchenden. In meinem Orden verrichten wir gemeinsam das Stundengebet. Ungezählte Male war ich unandächtig und mit dem Kopf ganz woanders. Die Gemeinschaft trug mich mit ihrem Beten darüber hinweg. Wer verstanden hat, dass man sich tragen lassen kann und muss, ist in der Suche ein großes Stück vorwärts gekommen.
DER PRIESTER UND DER ARZT: "Das Lächeln der Menschen
ist unsere Lebensaufgabe"
CHRISMON: Muss man auf der Suche auch lernen, Abschied zu nehmen?
VON DONNERSMARCK: Als ich jung war, bekamen wir im Kloster ein Schaf geschenkt. Es wurde ein schwäbischer Hausmetzger bestellt, der das Schaf in der Waschküche umbringen sollte. Das Schaf wusste genau, was ihm blühte. Der Metzger sagte darauf etwas Wunderbares. Er sagte: Könntest au a bissel mehr Würd' beim Sterbe zeigen! - Ich halte es für sehr wichtig, sich gegen Altern und Tod nicht zu wehren. Wer schon mit dreißig stöhnt, wie alt er ist, hat den richtigen Dreh noch nicht raus. ich bin im Ruhestand und schaue auf ein langes, sehr gutes Leben zurück. Die Grundstimmung meines Lebens ist tiefe Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass mein Leben gelungen ist und Gott mich gut geführt hat. Natürlich wäre ich zufrieden, wenn es noch etwas länger dauern könnte. Aber Leute, die noch mal von vorn anfangen wollen, sind mir völlig unverständlich. Ich bin froh, dass ich das alles hinter mir habe.
STRUNZ: Mit fünfundvierzig Jahren habe ich mich erstmals umgedreht und danke gesagt. Es war ein herrliches Gefühl. Und herrlich ist es seither, immer noch einen Tag zu bekommen. Meine Frau sagt jeden Tag danke zu mir und zum lieben Gott. Sie sagt nicht: Ich will noch mehr. Sie dreht sich um und sagt: Es war wunderschön. Das Wort danke fehlt in diesem Lande. Wer bedankt sich schon beim Bürgermeister für die Blumenrabatten an der Straße? Nein, man beschwert sich und queruliert, das ganze Land queruliert! Dabei ist doch das Ziel meines Lebens, dass ein anderer lächelt. Wenn mein Patient aus der Tür geht und getröstet ist, habe ich dieses Ziel erreicht. Es ist meine Pflicht, den Menschen vor mir fröhlich zu machen und mich um ihn zu kümmern. Und ich habe Glück. Denn ich bin Arzt. Ärzte und Priester haben es leicht. Das Lächeln des anderen ist ihr Beruf und ihre Lebensaufgabe. Ich sehe die Augen der Menschen, denen ich in meiner Praxis oder mit meinen Vorträgen helfen kann. Und diese Augen glänzen.
CHRISMON: Das Glänzen hält an?
STRUNZ: ja. All die Briefe, die ich bekomme, sind der Beweis.
VON DONNERSMARCK: Ich sehe das genauso. 1989 habe ich Alfred Herrhausen beerdigt, den Terroristen ermordet hatten. Das Requiem wurde im Fernsehen übertragen. Über 3000 Briefe habe ich daraufhin bekommen. Die überwiegende Mehrheit hatte selbst vor einiger Zeit Verwandte, Lebenspartner oder Freunde verloren. Meine Predigt hat ihnen Zuversicht geschenkt. Damit konnte ich ihnen helfen. Wenn irgendwo der Satz stimmt, dass Teilen Freude vermehrt, dann da. Ich bin meinen Eltern übrigens sehr dankbar dafür, dass sie mich dazu erzogen haben, gegenüber den Dienstboten danke und bitte zu sagen. Ich komme ja aus einem adligen Haus. Natürlich konnten wir den Dienstboten, schon als wir klein waren, befehlen. Aber wir mussten bitte und danke sagen. Das hat mich gelehrt, die Menschen zu achten.
CHRISMON: Sind Sie guten Mutes, egal was kommt?
VON DONNERSMARCK: Manche Leute behaupten, ich ruhe in mir selbst. Das finde ich nicht. Ich habe viele Spannungen auszuhalten, nützliche und weniger nützliche. Der heilige Augustinus sagte das so: Der, der ich bin, grüßt voll Trauer den, der ich sein sollte. Da ist viel Wahres dran. Mit solchen Spannungen muss man leben. Aber alles in allem gilt für mich: Ich weiß mich getragen. Nach dem Attentat auf das World Trade Center wurde ich gefragt, ob ich jetzt Angst hätte. Ich habe geantwortet: Ich lebe davon und darin, dass ich niemals tiefer fallen werde als in die Hand Gottes. Wovor sollte ich da Angst haben?
STRUNZ: Wenn ich das höre, werde ich wirklich neidisch. Aber ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Einen sehr wichtigen Satz habe ich in unserem Gespräch gelernt. Ich finde nicht, Gott findet mich. Danke!
VON DONNERSMARCK: Dazu fällt mir eine schöne Geschichte ein. Es war einmal ein Mann, zu dem Gott sagte, geh zu, ich begleite dich. Der Mann ging los. Neben sich sah er zwei Fußspuren. Er ging und ging und die Fußspuren nahmen den gleichen Weg. Einmal war der Mann furchtbar unglücklich. Es ging ihm richtig dreckig. Und die Fußspuren waren weg. Nach einiger Zeit, als es ihm wieder besser ging und die Fußspuren zurückgekehrt waren, beschwerte sich der Mann bei Gott: Du bist mir ein schöner Freund. Als es mir richtig dreckig gegangen ist, warst du nicht da. - So, sagte der liebe Gott, ich war nicht da? Du hast es nur nicht gemerkt, ich war da. Ich habe dich getragen.
Moderation: Monika Goetsch