"Kommt alle, schmeckt und seht!"

Was machen die da eigentlich, vorn am Altar? Wie ein Ehepaar, sie evangelisch, er katholisch - das Abendmahlsritual erlebt

Es gab eine Zeit, da war das alles kein Thema bei den Jahns. Wieso auch: Sie, Monika Jahn, 42, wurde eben evangelisch erzogen, er, Gerhard Jahn, 51, katholisch. Als sie sich ineinander verliebten, da hat sie die Konfession des Partners nicht interessiert, und auch nicht, als sie heirateten.
Dann, nach der Geburt des ersten Sohns, bekamen die Jahns Besuch von einem Pfarrer, "und da hat das Unglück eigentlich angefangen", bemerkt Gerhard Jahn mit undurchdringlicher Miene - und es ist nicht ganz klar, ob der Mann mit dem großen Schnauzer und dem grauen Haarkranz das ironisch meint. Seit dieser Zeit jedenfalls arbeitet Monika Jahn, die zierliche Bildhauerin, in der evangelischen Gemeinde mit, und die innerchristlichen Streitthemen spielen in ihrer Ehe eine Rolle. Schwierigster Punkt: das Abendmahl.
Deshalb machen sie sich an diesem Sonntag auf zum Praxistest. Kurz vor halb zehn eilen sie über den Frankfurter Römerberg mitten im Stadtzentrum. Die Glocken läuten. Hinter den beiden erheben sich die Bankentürme, vor ihnen, ganz nah beieinander, ragen zwei Kirchturmspitzen auf. Sie gehören dem katholischen Dom und der evangelischen Nikolaikirche.
Normalerweise würden sich die Wege des Paares vorher trennen. Aber heute gehen sie zusammen auf die Pforte der Nikolaikirche zu, wo hinter der Eingangstür eine Pfarrerin im schwarzen Lutherrock mit weißer Schleife jeden Besucher per Handschlag begrüßt. Drinnen ist es hell und warm, an die 8o Gottesdienstbesucher sitzen in ihren Mänteln auf den Stühlen und schauen nach vorn. Auf dem Altar sind weiße Orchideen angeordnet, davor stehen silberne Becher übereinander gestapelt. Einmal im Monat feiert die Gemeinde das Abendmahl mit Einzelkelchen statt mit einem Gemeinschaftskelch - eine Konzession an diejenigen, die sich vor Ansteckung fürchten, erklärt Monika Jahn.
Gerhard Jahn, 51, von Beruf Produktmanager in einem Autozuliefererbetrieb, sitzt in der vorletzten Reihe und beobachtet. Die St.-Pauls-Gemeinde in der Alten Nikolaikirche feiert, für eine evangelische Gemeinde recht ungewöhnlich, jeden Sonntag das Abendmahl. Viele Besucher kennen die liturgischen Texte, singen und sprechen sie mit. Beim Friedensgruß kommt Bewegung in die Versammlung. Die Leute springen auf, gehen durch die Reihen und schütteln einander die Hände: "Friede sei mit dir!"
Danach zieht eine ernste Stimmung ein. Nacheinander hält die Pfarrerin den Brotkorb und den Kelch in die Höhe und spricht die Einsetzungsworte, die an das letzte Mahl von Jesus und seinen Jüngern erinnern. Das Bibelwort ändert sie ein bisschen ab: Den Jüngern stellt sie ausdrücklich Jüngerinnen an die Seite.
"Kommt, denn es ist alles bereit. Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist", lädt die Pfarrerin zum Abendmahl. Die 25 Leute, die sich um den Altar herum zu einem Kreis aufstellen, halten die Hände übereinander gelegt nach unten oder an die Seite und schauen in die Mitte. Sie wirken angespannt. Nur einige gucken erwartungsvoll, so eine Frau, die mit ihrem kleinen Kind auf dem Arm nach vorn gekommen ist. Mit den Worten "für dich" reicht eine Helferin jedem ein Brotstückchen. Die Pfarrerin geht mit einem silbernen Tablett voller Saftkelche von einem zum anderen: "Nehmt hin und trinkt, dies ist das Neue Testament in meinem Blut..." Auch ein kleines Mädchen, das sich neugierig im Kreis umsieht, bekommt Brot und Saft. Am Schluss fassen sich alle im Kreis an den Händen. Danach bildet sich noch ein zweiter Kreis. Diesmal sind die Jahns mit dabei.
Draußen auf dem Römerberg überrascht Gerhard Jahn, gebürtiger Mainzer, mit einer versöhnlichen Bemerkung: "So viel aners is es aach net." Pause. Einiges hat ihm, dem Katholiken, aber doch gefehlt: Die Pfarrerin hat sich zu Beginn des Gottesdienstes bei den Worten Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes nicht bekreuzigt und selbst beim Segnen am Schluss auf das Kreuz verzichtet. Überhaupt: Keiner kniet oder verbeugt sich. Gerhard Jahn vermisst die sichtbaren Zeichen, in denen sich für ihn der Glaube ausdrückt.
Und auch der Umgang der Protestanten mit Hostie und Wein erscheint ihm allzu profan. Das sei ja bloß eine "Verteilung von normalem Weißbrot" und "normalem Rotwein", und es gehe nicht wirklich um "Jesu Fleisch und Blut". Monika Jahn hält dagegen: Die Vorstellung von Fleisch und Blut findet sie "eklig". Andererseits: Sie will "nicht ausschließen", dass Christus im Abendmahl irgendwie präsent sei. Ihr Mann kommt ihr ein wenig entgegen: In der Hostie sehe er vor allem "eine Verbindung mit der ganzen Person und der ganzen Lehre von Jesus. Das gehört da alles mit rein."
Zu Hause kommen Erinnerungen hoch: Gerhard Jahn erzählt von seiner Erstkommunion mit acht Jahren -"ein unvergessliches Fest". Bei der ersten Beichte, Pflichtstation auf dem Weg zur Kommunion, hätten die Kinder natürlich gelogen, "Ungehorsam gegen die Eltern und so". Aber als sie dann am Sonntag mit Kerzen feierlich in die Kirche einzogen, war er ganz bei der Sache: "Bis dahin hat man als Kind ja nur zugeguckt, jetzt durfte man an die Altarstufen." Als der Pfarrer ihm dann die Hostie auf die Zunge legte, kam er sich vor, als hätte er "eine Eintrittsschwelle" überschritten. Und die ganze Stadt wusste Bescheid: Nur am Tag der Kommunion backten die Mainzer Bäcker die "Baumstamm-Torte", eine gefüllte Rolle mit Schokoladenüberzug.
Und das erste Abendmahl nach der Konfirmation? Seine Frau, die Kirchenvorsteherin mit den langen offenen Haaren, schüttelt den Kopf Da muss sie um die 14 gewesen sein. An die Konfirmation kann sie sich erinnern, ans Abendmahl überhaupt nicht. Es ist schon dunkel, als die beiden erneut Richtung Römerberg aufbrechen. Eine ganz gewöhnliche Messe im katholischen Dom wollen sie an diesem Sonntagabend besuchen. Im Licht der Leuchter und Kerzen strahlen die Gemälde und Flügelaltäre. Zur Oberraschung des Ehepaars veranstaltet die katholische Hochschulgemeinde den Gottesdienst. Der junge Priester ist in ein weißes, bodenlanges Kleid gehüllt. Hinter dem Altar singt bereits ein afrikanischer Chor. Stall Messdienern assistieren dem Priester ein Mann in Jeans und eine junge Frau im Kostüm. Die Jahns haben in der ersten Reihe Platz genommen.
Nach der Predigt bereitet der Priester die Gaben für die Kommunion vor - in vielen kleinen Schritten, ausführlich. Er folgt einer exakten Dramaturgie, die jeder mitverfolgen kann. Monika Jahn schaut genau hin: Wie der Priester im Kelch den Wein mit etwas Wasser vermischt, wie er, assistiert von dem Helfer, seine Hände mit Wasser begießt, um sich von Schuld zu reinigen. Wie er dann die Einsetzungsworte spricht. In diesem Augenblick soll sich die Wandlung von Hostie und Wein in Fleisch und Blut Christi ereignen.
Viele Gläubige fallen auf die Knie, die anderen erheben sich von den Bänken. Die Glocken schlagen. Sekundenlang streckt der Priester wortlos die Hostie, eine extra große Oblate, mit beiden Händen in die Höhe, danach auch den Kelch. Später bricht er die Hostie über einer Schale in Stücke. Als der Priester hinter dem Altar nach vorne kommt, springen die Besucher auf. In langen Reihen stellen sie sich an, um die Kommunion zu empfangen. "Komm mit", ermuntert Gerhard Jahn seine Frau.
Sie weiß, dass in der katholischen Kirche offiziell nur Katholiken zur Kommunion zugelassen sind. Deshalb wollte sie eigentlich nicht teilnehmen. Sie wollte den Priester der Nachbargemeinde, den sie kennt, nicht provozieren. Nun aber zelebriert ein anderer Priester die Messe, und Monika Jahn geht spontan doch mit nach vorn. Mit den Worten "Der Leib Christi" übergibt der Priester jedem eine Hostie, "Amen" antworten sie. Auch Kinder stellen sich in die Reihen der Gläubigen, ihnen zeichnet der Priester ein Kreuz auf die Stirn.
Bald darauf erteilt er den Schlusssegen und dann singt noch lange der Chor. Es ist schon kurz vor 8 Uhr abends, als die Jahns nach Hause kommen. Da sitzen sie am Küchentisch, erzählen und vergleichen. Monika Jahn fühlte sich zur eigenen Oberraschung "wirklich eingeladen". Ausdrücklich habe der Priester gesagt: "Kommt alle!", und er habe betont, dass Christus "in Brot und Wein gegenwärtig" sei. "Da kann ich mitmachen", sagt die muntere Frau. "Aber zu Hause fühl ich mich dabei nicht." Da gebe es bei den Evangelischen "mehr Gemeinschaft, mehr Miteinander" als bei diesem "Hingehen, Bedientwerden, Wieder-Weggehen".
Wo bleibt da "die Gemeinschaft mit den anderen und mit Gott"? Ihr Mann stimmt ihr zu: "Bei der Messe steht jeder für sich an." Aber ihm sei das lieber, als wenn sich alle an den Händen halten. Da denke er oft genug: "Mann, hat die nasse Finger." Gerhard Jahn erlebt die Kommunion anders als seine Frau. "Das wirkt mehr", behauptet er, und er meint damit die gesamte Zeremonie, die den größten Teil der Messe ausmacht. Da spüre er stärker die "Verbindung zwischen Gott und Mensch", das "Geheimnis des Glaubens", und er schätzt auch die festen Regeln in der katholischen Kirche, die ich überall wiederfinde". Der protestantischen Frömmigkeit traut er nicht: "Da macht jeder so ungefähr, was er will." Bei der Messe dagegen fühlt er sich sofort wieder zu Hause.
Nach diesem Sonntag kehrt bei den Jahns wieder Alltag ein, und da geht es dann doch weniger kirchlich zu: Vom Frühjahr an fährt Gerhard Jahn mit den Söhnen sonntags Radrennen, die ganze Saison durch, und im Winter wird er seine Frau wieder gelegentlich zur Nikolaikirche begleiten.
Hedwig Gafga