Der Psalter

Lied- und Gebetbuch der Gemeinde

Psalmen und Psalmworte zählen zu dem bekanntesten biblischen Worten der christlichen Gemeinde. Vielen Christen sind sie bekannt, geläufig, unverzichtbar für ihren Lebens- und Glaubensweg.
So wählen Taufeltern für ihr Kind gerne das Wort aus: "Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen." (Psalm 91,11).Konfirmanden lernen den 23. Psalm auswendig und erhalten oft ein Psalmwort für ihren Lebensweg.
Für Brautpaare findet sich leicht ein passendes Wort wie Psalm 37,5: "Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird`s wohl machen." In schweren Zeiten, wo eigene Worte versagen, ist es die Sprache der Psalmen, in denen ich mich wiederfinde mit meinem Leid, meiner Trauer, der Einsamkeit, dem Schmerz. Beim Abschiednehmen von einem lieben Menschen sind es tröstende Worte, die mir Halt geben: "Nun, HERR, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich." (Psalm 39,8). Beim Gang durch die Zeit, an der Schwelle zu einem neuen Jahr ist es gut sagen zu können: "Meine Zeit steht in deinen Händen." (Ps. 31,16). Und angesichts der abnehmenden Zahl von Christen sowie dem damit verbundenen Werteschwund in unserem Land ist die Bitte aus Psalm 12,2 wichtig: "Hilf, o HERR, denn die Frommen schwimmen dahin, keine Treue ist mehr unter den Menschenkindern."
Für unzählige Menschen, für Juden und Christen, waren und sind die Psalmen das wichtigste Lied- und Gebetbuch. Es ist zeitlos! Denn Gott, der Schöpfer, der Vater Jesu Christi, ist der gleiche geblieben in seiner unwandelbaren Barmherzigkeit und Treue, der darüber gelobt und gepriesen wird. Und wir Menschen haben uns trotz des enormen "Fortschritts" auf vielen Gebieten in unserer Befindlichkeit kaum verändert. Die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, nach Freiheit und Rettung, der Schrei der Klage und Hilfe sind gegenwärtig. So können wir unseren Dank, das Lob Gottes, aber auch die Klage, dem Hilfeschrei mit Psalmworten Ausdruck geben. Ganze Bücher mit persönlichen Erfahrungen ließen sich schreiben!
Gotteswort und Menschenwort
"Die Psalmen nehmen eine einzigartige Stellung im Ganzen der Heiligen Schrift ein. Sie sind Gottes Wort und zugleich, bis auf wenige Ausnahmen, Gebet des Menschen. Wie ist das zu verstehen? Wie kann Gottes Wort zugleich Gebet zu Gott sein?" So fragt Dietrich Bonhoeffer in seiner Schrift "Gemeinsames Leben". Wie kann Gebet zu Gott zugleich Gottes Wort sein? Dazu ist zu antworten: Sowohl die Entstehung der Psalmen wie seine ganze Kraft und Herrlichkeit beruhen auf der Grundtatsache, dass Gottes Wort an das Volk Israel ging. Er hat vielfach und auf vielerlei Weise zu den Vätern durch die Propheten geredet (Hebräer 1,1). Der ganze Psalter ist in seinem Inhalt von dieser besondern Gottesoffenbarung geprägt. Gottes eigenes Wort hat diese Antwort des Glaubens geweckt. Er will als ein Echo auf der Wunder der Offenbarung begriffen werden. Als ein lebendiger, personhafter, dem Volk seiner Wahl gnädig zugewandter Gott hat sich der allmächtige Schöpfer, der Retter und Richter aller Menschen und Völker seinem Bundesvolk vorgestellt, bekannt gemacht. Wo dieser Herr und Gott sein Schweigen bricht und redet, ja inmitten seines Volkes Wohnung macht (Psalm 84), da entsteht Gebet! So ist der Psalter "ein wichtiges Siegel und sicheres Zeugnis der Offenbarung Gottes in Israel" (A. Schlatter). In all seinen Liedern und Gebeten spiegelt sich wider, was dieses Volk von seinem Gott gehört und empfangen hat. Gewiss, dieses Gebet ist das Gebet von Menschen, die in menschlicher Weise auf das an sie ergangene Wort Gottes im Glauben antworten. Dabei sind Lob und Dank, aber auch Anfechtungen, Zweifel, Furcht und Kleinglauben mit dabei. "Denn ein menschlich Herz ist wie ein Schiff auf einem wilden Meer, welches die Sturmwinde treiben. Hier stößet her Furcht und Sorge vor zukünftigem Unfall. ..... Hier weht Hoffnung und Vermessenheit von zukünftigem Glück. ... Wo findet man feinere Worte von Freuden, denn die Lobpsalmen oder Dankpsalmen haben? .... (Vorrede M. Luthers auf den Psalter)
Wie kann Gebet zu Gott zugleich Gottes Wort sein? Wir wissen aus dem Neuen Testament, dass Jesus Christus in schweren Lebenstagen und in seinem Sterben zu den Gebetsworten der Psalmen seine Zuflucht nahm (Markus 15,34; Lukas 23,46) und zugleich den Psalter seinen Jüngern als ein vorlaufendes Christuszeugnis gedeutet hat (Lukas 24,44) im Einklang mit den übrigen neutestamentlichen Zeugen. So ist auch im Blick auf die Entstehung der Psalmen auf das Wirken des Heiligen Geistes hinzuweisen. "Über dem Psalter weht Heiliger Geist!" schreibt ein Ausleger. Kein Wunder, dass sich das Gebet, das Lied und der Gottesdienst des Gottesvolkes und der Christen immer neu daraus speist.
Name und Entstehung
Die Bezeichnung "Psalmen" stammt aus dem Neuen Testament (Luk. 20,41, Apg. 1,20) und geht zurück auf die griechische Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta). Ein "Psalm" ist ein religiöses Lied, das zum Saitenspiel vorgetragen wird. Die Sammlung aller 150 Psalmen wird als "Psalter" bezeichnet, wobei in der hebräischen Bibel der erste Psalm das Vorwort bildet.
Die vielen Lieder und Gebete sind in einem langen Zeitraum entstanden. So begegnet uns die hymnische Dichtung schon in der Frühzeit Israels. Bekannt sind das Mirjamlied (2. Mose 15) und das Deboralied (Richter 5). Darum lässt sich wohl mit Recht sagen, dass die Psalmendichtung in Israel so alt ist, wie die Nation selbst. Es ist anzunehmen, dass der Großteil der Psalmen in der Zeit vor dem babylonischen Exil entstanden ist. Die ganze Sammlung wurde etwas 300 vor Christus abgeschlossen. Dabei ist zu bedenken, dass die 150 Psalmen, die durch die Aufnahme in die heiligen Schriften Israels Jahrhunderte überdauert haben, nur einen Ausschnitt aus einer erstaunlich reichen Tradition darstellen.
Inhalt des Psalters
Der Inhalt des Psalters ist sehr vielfältig. Es sind Lieder zur Verherrlichung Gottes, persönliche Lieder, Dank- und Loblieder, Vertrauens- und Klagelieder. Die wichtigsten Typen sind das Loblied (Hymnus), das Klagelied und das Danklied. Das Thema der Loblieder ist die Herrlichkeit Jahwes, seine Macht und Größe in Schöpfung und Geschichte, in Gesetz und Bund. Und in den vielen Wundertaten, die das Gottesvolk in seiner geschichtlichen Führung vor Augen hat (Ps. 8,36,103-105,150 u.a.). Seinen "Sitz im Leben" hat der Hymnus im festlichen Gottesdienst. Er ist das Cho des Glaubens auf die gnädige Offenbarung Gottes, die sein Volk vielfach erfahren hat. Der Hymnus umfasst beides, das Bekenntnis zu Gott, mit dem sich die Festgemeinde immer wieder neu seiner Herrschaft unterstellt. Und die Verkündigung seiner Heilstaten, durch die es seine Sendung wahrnimmt als ein "Königreich von Priestern" (2. Mose 19,6). Eine besondere Stellung unter diesen Hymnen nehmen die sog. Thronbesteigungspsalmen (Ps. 47,93,96-99) ein, in welchen die Königsherrschaft Jahwes als des Weltherrschers und Weltrichters verherrlicht wird.
Am häufigsten ist im Psalter die Gattung der Klagelieder vertreten. Fast ein Drittel aller Psalmen sind Klagepsalmen - ein Zeichen dafür, wie tief das volle Heil in Jesus Christus, dessen Offenbarung dem Neuen Bund vorbehalten blieb, den Frommen des Alten Bundes noch verborgen war. Der Anlass zur Klage vor Gott ist denkbar verschieden, sie geben Einblick in das bunte Bild des öffentlichen privaten Lebens. Krankheit und Todesangst, Verhöhnung und Verfolgung, Zweifel und Sündenlast, Bedrückung und Rechtsbruch, das Überhandnehmen der Gottlosen - all das treibt den leidenden Menschen ins Gebet. Dazu kommen die gemeinsamen Nöte, Gefahren und Katastrophen wie Krieg und Niederlage, Missernten, Seuchen und Inflation, unter denen das ganze Volk zu leiden hat. Auffallend ist der Aufbau der Klagelieder. Nach der Anrufung Gottes und der Klage kommt die Bitte mit Begründung. Am Ende steht oft ein Gelübde (Ps. 5,7,79,80).
Eine dritte Gattung stellen die Danklieder des Psalters dar, in denen das Gottesvolk sich die Wohltaten Gottes vergegenwärtigt oder der Einzelne dem Herrn für sein gnädiges, rettendes Eingreifen dankt (Ps. 9,18,106,107). In vielen Psalmen ist das Klagelied mit dem Danklied verbunden. Nicht selten mündet das Danklied in ein lehrhaftes Bekenntnis aus (Ps. 25,12; 31,24). Einige Psalmen kann man auch als Weisheitsliteratur bezeichnen (Ps. 1,49,112,128); zuweilen sind auch mehrere Themen in einem Psalm enthalten (Ps. 19). Eine Besonderheit sind die alphabetischen Psalmen, wie "das goldene ABC" (Ps. 119).
Nicht zu unterschlagen sind die sieben Bußpsalmen (Ps. 6,32,38,51,102,130,143). Besonders eindrücklich ist Psalm 31, der die Überschrift trägt "Vom Segen der Sündenvergebung". Aus persönlicher Erfahrung heraus bezeugt der Beter, welch unschätzbarer Trost ihm mit der Vergebung seiner Sünden zuteil geworden ist. Die Vergebung setzt voraus, dass der Mensch in Wahrhaftigkeit vor Gott sich zu seinen Sünden bekennt, das trotzige Verschweigen der Schuld und den störrischen Eigensinn aufgibt. Der Psalm ist eine frohe Einladung zur Buße und spricht von der großen Entlastung, die ihm nach abgelegter Beichte vor Gott gegeben wurde. Den Abschluss bildet ein Jubelruf, im dem sich Trost und Freude der empfangenen Vergebung wiederspiegeln. "Wo Vergebung der Sünden ist, da ist Leben und Seligkeit" (M. Luther)!
In den Psalmen kommt die Ganzheit des Lebens zur Sprache, ein weiter Horizont wird sichtbar. Der Mensch ist nach biblischer Schau als Ganzer Gottes Geschöpf und darum nach Geist, Seele und Leib von ihm beschenkt und beansprucht. Deshalb ist gerade in den Vertrauenspsalmen wie ein vielstimmiges Echo das Zeugnis von den Glaubenserfahrungen der "Heiligen" zu hören. Sie haben sich mit dem lebendigen Gott eingelassen, sein Wort haben sie gehört, das gleichzeitig "zielweisende Verheißung und bindender Anspruch" für sie ist. In Glück und Elend, in Not und Entbehrung ist ihr Blick zu Gott empor gewandt. Die Gewissheit, in jeder Lage unter der wunderbaren Führung des Herrn zu stehen (Ps. 23,1-6, 4,4; 31,4) umschließt wie eine Klammer all die genannten Gegensätze. Auch im Fallen erfährt der Beter, dass er von der Hand Gottes festgehalten ist (Ps. 73,23) und auch im tiefsten Elend fällt er nicht aus der Fürsorge Gottes heraus. Mitten in der Klage bricht diese Gewissheit durch wie der Strahl der Sonne durch die Wolken bricht (Ps. 56,9 ff.).
"Nutzanwendung" der Psalmen
Schon in den Gottesdiensten der Urgemeinde wurden die Psalmen gebetet und sein Gebrauch setzt sich durch die Jahrhunderte bis heute fort. Das Gebet, das Lied und der Gottesdienst des Volkes Gottes wird zu allen Zeiten daraus gespeist und erneuert. Aus der unerschöpflichen Quelle der Psalmen hat die Dichtung des christlichen Kirchenliedes zu allen Zeiten geschöpft. Besonders im Zeitalter der Reformation, so dass seine Klänge und Gedanken auf diesem Wege in der Gemeinde weiterleben. Martin Luther und Johannes Calvin dichteten Lieder anhand der Psalmen und von Paul Gerhardt, Cornelius Becker, Matthias Jorissen u.a. haben wir viele Lieder, die aus dem Reichtum der Psalmen und eigener Glaubenserfahrung schöpfen. Was wären wir ohne die diese Choräle in unserem Gesangbuch, von denen nur einige wenige genannt sein sollen: Du meine Seele, singe ... (EG 302); Nun jauchzt dem Herren alle Welt (EG 288); Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen (EG 272); Jauchzt alle Lande, Gott zu ehren (EG 279); Wohl denen, die da wandeln (EG 295); Befiehl du deine Wege (EG 361); Ein feste Burg ist unser Gott (EG 362); Meine Zeit steht in deinen Händen (EG 644).
Es empfiehlt sich, immer wieder Psalmen zu lesen, mit Psalmworten zu beten. Allein, in der Familie und mit der Gemeinde. So geschieht eine "persönliche Aneignung". Wie wäre es, jede Woche jede Woche einen Psalm zu lesen und einen (fettgedruckten) Psalmvers auswendig zu lernen? Auswendig gelerntes Gotteswort prägt sich ein und gleichzeitig erschließt sich der ganze Reichtum.
Psalm 23 (nach Indianerart) "Der große Vater über uns ist mein Hirte. Bei ihm fehlt es mir an nichts. Er wirft mir das Seil seiner Liebe zu. Er findet für mich immer Oasen und genügend Wasser. Auch inmitten der Gefahr schützt er mich bei der Rast. Er weiß immer den besten Weg und führt zuverlässig. Manchmal geht es durch Schluchten und Engpässe. Trotzdem habe ich keine Angst. Der Herr kennt ja den Weg und ermutigt mich mit seinem Stab. Er legt mir die Hand aufs Haupt, und alle Müdigkeit ist verschwunden. Meinen Krug füllt er bis zum Überlaufen. Die Wegstrecken weit von mir werden lebenslang ein sicherer Pfad sein. Und danach erwartet mich das Leben im großen Zelt; dort wird mein Platz bei dem großen Hirten sein - für immer. Amen.
Reiner Lichdi, Pfr.i.R., Bühl