50 Jahre Bühler Friedenskreuz

Hunderttausende von Menschen beteten am Fuße des Kreuzes schon für den Frieden in der Welt, ehemalige Frontsoldaten des Zweiten Weltkriegs, Jugendliche aus aller Herren Länder, Wallfahrer auf dem Weg zu den großen europäischen Pilgerstätten, Politiker, Bischöfe, Kardinäle, alte und junge Menschen. Das Friedenskreuz zwischen Bühl und Ottersweier ist für viele Menschen ein Symbol für den Wunsch nach einer Welt ohne Gewalt. Am 4. Mai 2002 jährt es sich zum 50. Mal, dass der Freiburger Erzbischof Wendelin Rauch das Kreuz weihte.
Ende der 40er Jahre: Die Wunden, die der Zweite Weltkrieg geschlagen hat, sind noch frisch, und sie führen auch zur Errichtung des Kreuzes. Auf dem Weg von Bühl nach Maria Linden, beim Anblick des Hügels "Unteres Licht", steigen in Caritasdirektor Johannes Schmidt Assoziationen an jene Erhebung auf, auf die Jesus einst sein Kreuz trug. Er ist auf einer Wallfahrt, und am Ziel "Maria Linden" angekommen, meditiert Schmidt. In seinen Gedanken entsteht recht schnell ein Kreuz auf dem Hügel. In seinem Freund Manfred Hörhammer, einem Pater von Pax Christi, findet er einen Gleichgesinnten. Im Frühjahr 1951 erhält Hörhammer Post eines Gymnasiasten. Darin befinden sich Zeitungsaussehnitte, die vom Todesurteil gegen Adam Essinger aus Reichenbach im Odenwald berichten. Essinger gehörte jener Einheit an, der das Oradour-Massaker zur Last gelegt wurde, jener Gewaltexzess, bei dem fast alle Einwohner des französischen Dorfes in der zur Explosion gebrachten Kirche ums Leben kamen. Der französische Innenminister Graf Menthon erließ nach 1945 ein Kollektiv-Schuldgesetz. Doch Essinger war zur Zeit des Massakers nachweislich in Urlaub und an dem Kriegsverbrechen nicht beteiligt. Für Hörhammer steht es außer Frage, sich für den Mann einzusetzen. Johannes Schmidt schlägt ihm vor, am 30. April die 1.-Mai-Predigt in der Wallfahrtskirche "Maria Linden" zu halten, dort diese Geschichte zu erzählen und dazu aufzurufen, beim Friedenskreuz von Bühl zu geloben, wenn es gelingen sollte, den Mann vor dem Tod zu retten. Hörhammer folgt bei dieser Männerwallfahrt der Dekanate Achern und Bühl Schmidts Wunsch.
Auch in Frankreich kämpft der Pater gegen die umstrittene Lex Oradour. Dabei hilft ihm unbewusst der Sohn von Graf Menthon. Der hält sich als Austauschschüler in Bayern auf, schreibt begeisterte Briefe nach Hause, in denen er ohne jedes Vorurteil die Menschen in seinem Gastland schildert.
Graf Menthon, inzwischen Mitglied der französischen Nationalversammlung, ändert seine Meinung: Er distanziert sich von der Lex Oradour, das Kollektivschuld-Gesetz fällt, und weitere unschuldig zum Tode verurteilte, sieben Menschen, bleiben am Leben. Die im Vichy-Prozess zum Tode Verurteilten werden frei gesprochen.
Jetzt muss das Gelöbnis eingelöst werden, und Johannes Schmidt - in Bühl auch als Initiator des Kinderheims "Sonneck" auf Neusatzeck bekannt - geht sofort ans Werk. Das Friedenskreuz wird zu seiner Lebensaufgabe; Dr. Kurt Oser, der sich 1983 in einer Monographie mit der Geschichte des Kreuzes befasst hat, nennt ihn den "Hüter des Friedenskreuzes". Das Geld für den Bau wird gesammelt: Kinder spenden, Kranke, Witwen, Waisen, Heimatvertriebene, aber auch Menschen, die nach dem Krieg ihr Zuhause noch hatten; Bischöfe aus Deutschland, Österreich, Italien und Japan geben ihr Scherflein. Die ersten Spenden kommen bei einer Krankenwallfahrt zusammen.
Kunstmaler Ludwig Barth entwirft das Kreuz, der 83 Jahre alte Oberingenieur Ferdinand Eberhardt legt im Oktober 1951 die statischen Berechnungen vor. Für Kurt Oser ist Eberhardts Mitwirken auch ein ökumenisches Zeichen, schließlich ist der Techniker Mitglied der evangelischen Kirche, so wie im Übrigen auch einige der im Vichy-Prozess frei Gesprochenen. Wie so viele andere, so verzichtet auch Eberhardt bei seiner Arbeit auf eine Bezahlung: "Früher habe ich Brücken über den Rhein gebaut", sagt er, "jetzt baue ich zum Abschluss meines Lebens diese Brücke der Völkerverständigung. Dafür will ich keinen Lohn."
17 Männer richten das 14 Meter hohe, zum Teil aus Baumaterialien des Westwalls und der Maginotlinie entstandene Kreuz auf. Auch französische Pioniere beteiligen sich am Bau. Im Innern birgt das Kreuz Felsstücke von Montecassino und ab 1963 auch von Golgotha.
Die Einweihungsfeier am 4. Mai 1952 lockt 10 000 Gäste nach Mittelbaden; unter ihnen ist auch Adam Essinger. Manfred Hörhammer skizziert die Vorgänge, die zum Kreuzbau geführt haben. Das Bühler Friedenskreuz, sagt er, solle zu einem Brückenkopf der Völkerverständigung werden und die "Wacht am Rhein" überflüssig machen.
Frieden ist das zentrale Anliegen vieler Gäste, die in den folgenden Jahrzehnten am Fuß des Kreuzes beten. Nicht selten sind weltpolitische Konflikte der Auslöser. So etwa 1956, als die Geschehnisse in Ungarn und am Suezkanal die Menschen in Atem halten und ängstigen: Das Friedenskreuz wird verhüllt. Erst wenn das Weltgeschehen wieder zur Ruhe gekommen ist, soll es wieder sichtbar werden. Oft wehen die Fahnen der Staaten des Nahen Ostens am Friedenskreuz, um an einen Krisenherd der Weltpolitik zu erinnern.
"Stammgast" ist die Jugend der Welt. Heranwachsende aus Wales kommen 1959 nach Bühl, im Jahr darauf schreiben sie: "Wir werden jene Nacht am Bühler Friedenskreuz nie vergessen, noch die wundervolle Idee, die hinter dem Friedenskreuz steht." 1961 versammeln sich im Namen des Weltfriedens über 1 000 Bühler Schüler am Friedenskreuz. 1963 singen die Pariser Sängerknaben am Friedenskreuz. 1957 haben sie es auf der Fahrt nach München erstmals gesehen, und es machte auf sie einen großen Eindruck. Viele Jahre kommt die Jugend zum Mittwoch-Friedensgebet, veranstaltet sie Nachtwachen und Nachtwallfahrten.
Völkerverständigung lautet das Ziel: Das Friedenskreuz wird weltweit bekannt. 1962 kommt der Erzbischof von Jerusalem, Gabriel Abou-Saada. Sein Nachfolger, Hilarion Capucci, betet drei Jahre später am Friedenskreuz, gemeinsam mit Theologen der Kollegien Borromäus und St. Pirmin. 1967 ziert das Friedenskreuz das Titelbild einer japanischen Broschüre. Auch die elektronischen Medien tragen die Kunde vom Bühler Friedenskreuz hinaus in die Welt. ARD und ZDF senden von hier, Rundfunkstationen strahlen 1962 die "Botschaft des guten Willens" in vieler Herren Länder aus. Im Juni 1992 findet eine Wallfahrt des Katholikentags in Karlsruhe zum Friedenskreuz statt.
Und zur Erinnerung an die Kreuzweihe versammeln sich in diesem Jahr wieder viele Menschen am Kreuz, wenn am 9. Juni der Erzbischof von Straßburg, Joseph Doré, sein Freiburger Amtsbruder Dr. Oskar Saier und der Landesbischof von Baden, Dr. Ulrich Fischer, sprechen.
Es ist ein Zeichen für die Tradition der Ökumene, in der das Friedenskreuz steht, das im Übrigen auch ein Wege- und Wetterkreuz ist, das "Fluren und Feldern Segen spenden möge".
Es kündet von einer Zeit, in der das berühmte Wort von Thomas Hobbes nicht mehr gelten soll: Homo homini lupus est - der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Statt dessen gilt, was der Bochumer Professor Heinrich Missalla - 1992 am Friedenskreuz sagte, auch wenn es immer noch wie eine Utopie klingen mag: "Die Zukunft gehört den Gewaltlosen."
Wilfried Lienhard
Auszug aus dem Acher- und Bühler Boten vom 4.Mai 2002