Die Ausbreitung der Reformation in Baden

Gerade im Badnerland hat die frühe Kirchengeschichte ihre Spuren hinterlassen. Anfang des 16. Jahrhunderts läuteten die provokanten Thesen Martin Luthers ein neues Zeitalter ein. Luther übte scharfe Kritik an der mächtigen und bis dahin konkurrenzlosen römisch-katholischen Kirche. Hauptkritikpunkt war der päpstliche Ablasshandel. Luthers Kritik an der Kirche breitete sich aus wie ein Lauffeuer - auch im Badischen. Im April 1518, ein halbes Jahr nach dem Thesenanschlag in Wittenberg, kam Luther zu einer Veranstaltung nach Heidelberg. Er legte dort theologische und philosophische Thesen vor, die sogenannten Heidelberger Disputationsthesen. Sie waren im Grunde noch viel radikaler und folgenreicher als die 95 Thesen. Denn die jüngeren Leute, die damals in Heidelberg Theologie und Philosophie studiert haben, waren begeistert von dem Mann aus Sachsen.
Luther war allerdings nicht der erste und auch nicht der einzige, der im ausgehenden Mittelalter versucht hatte, die Kirche zu erneuern. Jan Hus, der große tschechische Reformator versuchte auf dem Konzil zu Konstanz (1414-1418) seine Glaubensvorstellungen zu verteidigen. dass er seine Ansichten nicht widerrufen wollte, kostete ihn 1415 vor den Toren der Stadt das Leben. Philipp Melanchthon aus Bretten, späterer Weggefährte Martin Luthers, studierte schon mit 12 Jahren in Heidelberg, mit 15 machte er seinen Abschluss. Er war es, der Luther zur deutschen Übersetzung der Bibel drängte, damit auch das einfache Volk die Heilige Schrift lesen konnte. In der deutschen und französischen Schweiz führten Ulrich Zwingli in Zürich und Johann Calvin in Genf die Reformation ein, deren Bewegung zur Reformierten Kirche führte, die neben der lutherischen Richtung ebenfalls in Baden Fuß fassen konnte. Calvin, der zeitweise wegen übergroßer Sittenstrenge aus Genf ausgewiesen wurde und in dieser Zeit in Straßburg wirkte, traf dort mit Philipp Melanchthon und Martin Bucer zusammen.
Straßburg, als Bischofssitz schon Jahrhunderte Zentrum für die Katholiken der Ortenau, im 15. Jh. zudem ein Mittelpunkt der oberdeutschen Mystik, im 16. Jh. eine Hauptstadt des Humanismus, wurde auch einer der Hauptorte der Reformation. Die neue Lehre fasste hier schon nach 1520 Fuß und wurde durch das Wirken von Reformatoren wie Martin Bucer und Caspar Hedio auch über den Rhein verbreitet.
Wesentlich zur Ausbreitung der Reformation in der Ortenau trug Graf Wilhelm von Fürstenberg bei, dem seit 1504 die Landvogtei verpfändet war. Schon früh ein Anhänger der neuen Lehre, schloss er sich 1529 dem Landgrafen Philipp von Hessen an, nahm im gleichen Jahr an einem Treffen der Evangelischen in Schmalkalden sowie am Marburger Religionsgespräch teil, begleitete von dort Zwingli, Bucer und Hedio bis Straßburg, verhalf dem vertriebenen Ulrich von Württemberg wieder zu seinem Herzogtum und förderte, in sein Land zurückgekehrt, verstärkt den neuen Glauben.
Als Markgraf Christoph von Baden im Jahr 1515 die sogenannte „pragmatische Sanktion“ erließ, die auch Vorschriften für die Teilung des Landes enthielt, stellte er damit die Weichen nicht nur für eine 250 Jahre währende verschiedene Entwicklung der beiden Markgrafschaften, sondern zugleich für die konfessionelle Spaltung des Landes. Unter dem von ihm bevorzugten Sohn Philipp I vollzog sich ein erstes Eindringen des evangelischen Glaubens, dem der Markgraf zunächst nachgab. Im Laufe der folgenden Jahre zeigte es sich jedoch, dass der Markgraf zwar nicht alle Reformen rückgängig machen wollte, aber fein gemach wieder zum Papsttum abgefallen sei, wie der Chronist Sebastian Franck schrieb; er kehrte nach 1530, Reichstag zu Augsburg, zum Katholizismus zurück.
Kaiser Karl V wollte auf diesem Reichstag die lästige Revolte gegen die heilige katholische Reichskirche rasch beenden. Die so genannten Protestanten sollten ihre Kritik widerrufen, und zwar schnell. An Details hatte der Kaiser kein Interesse, wohl aber die Gegenseite. 28 Artikel zu christlichem Glauben und kirchlichen Gebräuchen legte Philipp Melanchthon, der Weggefährte Luthers, vor und wollte darüber diskutieren. Der Kaiser ließ zwar zu, dass die Artikel dieses „Augsburger Bekenntnisses“ (lateinisch: Confessio Augustana) im Bischofspalais verlesen wurden, aber damit waren die Grenzen seiner Geduld erreicht. Die Evangelischen mussten abreisen. Die Kriege begannen. Erst als sich Karl V amtsmüde nach Spanien zurückzog, stiftete sein späterer Nachfolger Ferdinand bei einem weiteren Augsburger Reichstag 1555 Frieden zwischen den katholischen und evangelischen Reichsständen. Man einigte sich auf den Grundsatz „cuius regio, eius religio“ („wessen das Land, dessen ist die Religion“). Der jeweilige Fürst konnte entscheiden, welche Konfession in seinem Land herrschen sollte. Doch der „Augsburger Religionsfriede“ blieb brüchig, und erst mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 hörten die Religionskämpfe endlich auf.
Zunächst war 1533 die Markgrafschaft an die beiden Brüder Philipps I, Bernhard und Ernst, gefallen, die es nach einer kurzen Zeit gemeinsamer Regierung teilten. Dabei erhielt Bernhard den Baden-Badischen Teil samt den Gemeinherrschaften Lahr-Mahlberg und Eberstein zu seinen sponheimischen Besitzungen, Markgraf Ernst aber den Baden-Pforzheimischen (später -Durlachischen) Teil zu den ihm gehörenden Besitzungen im Markgräflerland. Diese Teilung hatte Bestand, bis 1771 infolge Aussterbens der Baden-Badischen Linie die beiden Markgrafschaften wieder vereinigt wurden.
Bernhard wird in der Literatur als evangelisch bezeichnet, obwohl sich aus den vorhandenen Quellen dazu nur wenig erheben läßt. Die ihm zur Verfügung stehende Zeit war auch zu kurz. Er starb bereits 1536, wobei er den erst einjährigen Sohn Philibert hinterließ. Die Einrichtung einer Vormundschaft war nötig. Dabei gelang es der bayrischen Herzogin Jakobäa (Tochter Philipps I), die evangelische Verwandtschaft von der Vormundschaft auszuschließen und stattdessen eine rein katholische Vormundschaft zu bestellen. Sie versuchte nun, im ganzen Land die katholische Religion wiederherzustellen, was ihr aber nur in geringem Ausmaß gelang. Dies war zweifellos das Verdienst des ehemals simmerischen Rates Johann Jakob Vambüler, der bei der Einrichtung der vormundschaftlichen Regierung einer der badischen Räte geworden war Markgraf Philibert selbst hielt sich in Religionsdingen zurück, d.h. er schloss sich keiner Partei an, duldete und bevorzugte aber die Anhänger des Augsburger Bekenntnisses. Nach eigenem Bekunden hat er es 1568 auch selbst angenommen. So kam es dazu, dass im Innern das Land mit seiner Beamten- und Pfarrerschaft größtenteils evangelisch war, nach außen hin aber immer noch als katholisch galt.
Schon um 1565 waren in Baden-Baden Anfänge einer kirchenleitenden Einrichtung gemacht worden. Die beiden Baden-Badener Geistlichen hatten die Kandidaten für die Pfarrstellen zu prüfen. Diese Entwicklung kam jedoch über Ansätze nicht hinaus, da sie durch die bayrische Vormundschaft nach dem Tode Philiberts brüsk abgebrochen wurde. Dabei war es der Herzogin Jakobäa wieder gelungen, die evangelischen Verwandten von der Vormundschaft auszuschließen und Baden-Baden durch eine bayrische Verwaltung regieren zu lassen. Diese ging sofort daran, das ganze Land zu rekatholisieren. Um die Einsprüche des Markgrafen Karl von Baden-Durlach auf einfache Weise loszuwerden, ließ sie den Erben Philipp II schon im Oktober 1571 im Alter von 12 1/2 Jahren für mündig erklären. So konnte sie bis zur Regierungsübernahme durch Philipp II im Jahr 1577 ungestört ihre Maßnahmen durchsetzen, auch gegen den Widerstand fast der gesamten Bevölkerung.
Dies alles änderte sich schlagartig im Jahr 1594 mit der sogenannten oberbadischen Okkupation. Wegen der Anhäufung von Schulden und dem leichten Lebenswandel des neuen Markgrafen Eduard Fortunat besetzte der evangelische Markgraf Ernst Friedrich von Baden-Durlach in einer raschen Aktion das ganze Land. Ernst Friedrich hielt sich zwar an die Bestimmung, in Sachen der Religion keine Veränderungen vorzunehmen, doch wurde der evangelische Einfluss in der Markgrafschaft spürbar größer. Nach und nach wurde die Beamtenschaft, vor allem in den maßgeblichen Stellen, ausgetauscht. Nach seinem Tode 1604 erreichte Markgraf Georg Friedrich in den folgenden Jahren durch sogenannte gelenkte Supplikationen, dass in den meisten Orten der Markgrafschaft neben evangelischen Beamten wieder evangelische Pfarrer angestellt werden konnten. Auch richtete er mit der Ernennung des Baden-Badischen Pfarrers zum Superintendenten eine Aufsichtsbehörde ein. Die Schlacht von Wimpfen im Jahr 1622 und die im selben Jahr folgende Restituierung des katholischen Markgrafen Wilhelm, des ältesten Sohnes Eduard Fortunats, machte dieser evangelischen Periode Baden-Badens ein Ende. In der Schwedenzeit nach dem Feldzug Gustav Adolfs 1632 konnten noch einmal einige Pfarreien evangelisch besetzt werden. Jedoch beendete die Schlacht von Nördlingen 1634 dann endgültig die Möglichkeiten, dem Evangelischen in der Markgrafschaft Baden-Baden Raum zu geben. Innerhalb eines Jahrhunderts wurde im Baden-Badischen die Glaubensrichtung siebenmal gewechselt (Rekatholisierung 1536, 1571, 1622). Ein wichtiges Ergebnis des Westfälischen Friedens war, dass jetzt neben den Katholiken und Lutheranern auch die Reformierten geduldet wurden.
Das Hanauerland gehörte im 16. Jahrhundert zum Herrschaftsgebiet Hanau-Lichtenberg, das sich zu beiden Seiten des Rheines erstreckte. Bis 1572 wurde ebenfalls die Reformation eingeführt. Als 1803 das Hanauerland zu Baden kam, hatte die Geschichte hier einen anderen Verlauf genommen als in der benachbarten Ortenau. Das Hanauerland ist bis heute größtenteils evangelisch geblieben.
Bedingt durch ihre Ausbreitung von der Schweiz und Frankreich (Hugenotten) über die Niederlande bis nach England und Schottland wundert es nicht, dass sich die Reformierte Kirche auch in Baden etablierte. Was die Lutheraner einerseits und die Reformierten andererseits trennte, waren vor allem theologische Fragen, eine gemeinsame Abendmahlsfeier etwa war undenkbar. Nicht nur, dass etwa die reformierte Gemeinde keine Gottesdienste in der Kirche der Lutheraner feiern durfte selbst in vielen Familien wurde streng darauf geachtet, dass die Grenzen zwischen den beiden evangelischen Konfessionen nicht überschritten wurden. Nur ganz allmählich kamen Lutheraner und Reformierte einander näher und die Konfessionsgrenzen wurden durchlässiger.
Es gab dann die ersten sogenannten Mischehen. Wenn wir heute das Wort Mischehe gebrauchen, dann meinen wir eine katholisch-evangelische Mischehe, aber damals gab es evangelisch-evangelische Mischehen. Anfang des 19. Jahrhunderts spielten die Unterschiede zwischen den beiden evangelischen Konfessionen praktisch kaum noch eine Rolle. Der badische Großherzog Karl Friedrich war selbst das Produkt einer evangelischen Mischehe. Sein Vater gehörte zu den Lutheranern, seine Mutter zu den Reformierten. Die Kirchenunion war allerdings keinenfalls nur von oben verordnet; sie war auch und vor allem das Ergebnis einer Revolution von unten. Dem einfachen Kirchenvolk waren die feinsinnigen theologischen Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr einsichtig. So wurde 1821 auf einer Generalsynode in Karlsruhe die Vereinigung (Kirchenunion) der beiden evangelischen Religionsgemeinschaften besiegelt. Das war die Geburtsstunde der badischen Landeskirche.
Mit der Union gingen dreihundert Jahre Kirchenspaltung innerhalb des protestantischen Lagers zu Ende. Der badische Großherzog fungierte gleichzeitig als Landesbischof. Mit der praktischen Ausübung des obersten Kirchenamtes wurde allerdings ein anderer betraut: der Dichter und Gymnasiallehrer Johann Peter Hebel. Als Direktor des Karlsruher Gymnasiums gehörte Hebel schon lange der Kirchenleitung an. Auch ohne den formellen Titel gilt er vielen als erster echter badischer Landesbischof. Ganz allmählich vollzog sich im 19. Jahrhundert der Übergang von der Staatskirche zur Volkskirche. Lange Zeit war der Evangelische Oberkircherrat eine Abteilung des staatlichen Innenministeriums. Das Ende des 1. Weltkrieges veränderte das gesamte politische und gesellschaftliche System. Die Kirchen wurden zu selbständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts.