Bayern will Religionsspötter richtig bestrafen können

Er hat sie vom früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber geerbt, aber sie ist ganz nach dem Geschmack des neuen Regierungschefs Günther Beckstein: die geplante Verschärfung der Strafsanktionen bei Religionsbeschimpfung. Über den Bundesrat startete die bayerische Regierung eine Novellierung des Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches. Stand bis zum Jahr 1969 sogar die Gotteslästerung als solche unter Strafe, galt seither der Grundsatz: Eine Beschimpfung religiöser Bekenntnisse wird nur dann strafrechtlich verfolgt, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Das ist eine vernünftige Regelung, lässt sie doch leichter eine Unterscheidung zu zwischen objektiv feststellbaren Verhaltensweisen und dem, was traditionell als "religiöses Gefühl" firmiert.
Der bayerischen Landesregierung ist das allerdings nicht genug: Sie will nicht erst das Beschimpfen, sondern bereits das Verspotten von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften unter Strafe stellen. Würde das wahr, kämen in Zukunft nicht nur bösartige Ausfälle gegen Kirche und Bekenntnis, sondern zum Beispiel auch Ironie und Satire vor den Richtertisch. Außerdem will Bayern die Schwelle für die Strafverfolgung senken. Im novellierten Gesetz soll eine Gefährdung des öffentlichen Friedens bereits dann angenommen werden, wenn ein Verhalten das "Vertrauen der Betroffenen in die Achtung ihrer religiösen Überzeugung beeinträchtigt". Den Staatsanwalt würden also nicht erst wütende Proteste oder Demonstrationen einer größeren Personengruppe auf den Plan rufen. Es reichte vielmehr die Aussage von Betroffenen, der Religionsspott könne ihr Vertrauen in die Rechtssicherheit - also in den Staat - beeinträchtigen.
Was für ein nebulöses Gebilde von Stimmungen und Mutmaßungen! Man stelle sich einen Zeugen in einem Verfahren vor, der da sagt: "Die Comedy 'Popetown' auf MTV kann mein Vertrauen in die Achtung meiner religiösen Überzeugung beeinträchtigen." Nicht etwa: "Sie hat tatsächlich mein Vertrauen zerstört." Allein schon das zu belegen, wäre schwierig bis unmöglich. Nein: Es reicht bereits die diffuse Vermutung eines noch nicht real gewordenen Vertrauensverlustes.
Der bayerische Gesetzesvorstoß ist alles andere als ein Beitrag zur Rechtssicherheit. Er ist nicht nur ein wackeliges Konstrukt, sondern macht Stimmungen und Gesinnungen wieder zu einer Rechtsgröße. Doch was an bayerischen Biertischen Laune macht, macht an Richtertischen die Arbeit unmöglich. Weder Staatsanwälte noch Richter sind geübt darin, Empfindungen statt Fakten zu beurteilen. Es ist auch nicht ihre Aufgabe.
Freuen dürften sich über die fragwürdige Novellierung manche muslimischen Verbände in Deutschland. Sie sehen immer mal wieder die Religionsfreiheit in Deutschland in Gefahr. Ihr Vertrauen in die Achtung ihrer Überzeugungen ist brüchig. Das sagen sie auch. Der neue Paragraf 166: für sie eine Traumvorschrift. Eine neue Mohammed-Karikatur - und die Prozesslawine beginnt. Mit mehr Rechtssicherheit hat das nichts zu tun.
Eduard Kopp
Zeitschrift Standpunkte November 2007